Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Reh: Nahrung. Fortpflanzung. 499

Umſtände, das Shmalreh dagegen widerſtrebt dem ungeſtümen Bewerber, läßt ſih längere Zeit treiben, gerät au< meiſt in große Angſt und gibt dieſe durch die Laute 7, tä, tätä“ zu erkennen, fügt ſih jedo< endlih ebenfalls dem Willen des Boes. Da dieſer, wenn ex ein gewiſſes Alter erreiht hat, regelmäßig Schmalrehe treibt und die alten Ri>ken mehr oder weniger vernachläſſigt, finden gemeiniglich die jungen Böe bei leßteren williges Entgegenkommen. Überwiegt in einem Reviere das eine Geſchlecht, ſo wandert der niht zur Paarung gelangende Teil aus, um anderswo ſein Glü> zu ſuchen.

Wie die Unterſuchungen des Jägermeiſters von Veltheim, Pockels Zieglers und zumal Biſchoffs mit nicht mehr anzufechtender Beſtimmtheit dargethan haben, verharrt das befruchtete Ei etwa 4 Monate, bis nah Mitte Dezember, in gänzlich unentwi>eltem Zuſtande, beginnt aber ſodann mit ungewöhnliher Sqnelligkeit ſich in regelre<ter Weiſe auszubilden, bis der Keimling im Mai oder Juni ſeine vollſtändige Reife erlangt hat. Somit geht das Reh ebenfalls ungefähr 40 Wochen tragend und unterſcheidet ſih, ſoviel bekannt, einzig und allein dadur< von anderen Familiengenoſſen, daß der Keimling eine allerdings ungewöhnlih lange Zeit in einem ſih gleihbleibenden Zuſtande verharrt. Dies iſt die Regel, Ausnahmen hat aber auch ſie. Es kann nämlich vorkommen, daß eine Ricke erſt mehrere Wochen ſpäter beſchlagen wird und dennoch rechtzeitig ſeßt. Gefangene Ricken z. B., welche während der Brunſizeit mit dem Boke nicht zuſammenkommen konnten und erſt im Spätherbſte einen ſolchen zum Geſellen erhielten, werden unter beſonders günſtigen Umſtänden ausnahmsweiſe um dieſe Zeit noh brunftig, empfangen ebenfalls und bringen faum ſpäter als andere ihr Kälbchen zur Welt. Es ſind mir über dieſe verſpätete Rehbrunft von den verſchiedenſten Seiten her ſo übereinſtimmende Mitteilungen zugegangen, daß ih an der Nichtigkeit der Beobachtungen niht wohl zweifeln darf. Jh unterlaſſe es, die an gefangenen Rehen geſammelten Erfahrungen auh auf frei lebende zu beziehen, bemerke jedoh noch, daß auch unter dieſen ein Beſchlagen im Oktober und November thatſächlich beobachtet worden iſt.

Etwa 4 oder 5 Tage vor dem Sezen ſucht die Ricke in einem einſamen, mögli<ſt abgelegenen Teile des Waldes einen ſtillen Plas und bringt dort ihre Kälber zur Welt. JFüngere Rien ſeßen gewöhnlih nur ein einziges Kalb, ältere deren zwei, in ſeltenen Fällen ſelbſt drei. Die Mutter verbirgt ihre Sprößlinge vor jedem ſih nahenden Feinde mit Sorgfalt und gibt ihnen bei der leiſeſten Ahnung einer Gefahr warnende Zeichen dur<h Aufſtampfen mit dem einen Laufe oder durch einen furzen zirpenden Laut. n der zarteſten Jugend drü>en ſih die Kälber, ſobald ſie dieſen vernehmen, auf der Stelle nieder; ſpäterhin entfliehen ſie mit der Mutter. Während der erſten Tage des Lebens, wenn die Kälber noh zu unbehilflih ſind, nimmt die Nike zur Verſtellungskunſt ihre Zuflucht und ſucht den Feind von ſih abzulenken. Wird ihr ein Junges geraubt, ohne daß ſie es hindern kann, ſo jolgt ſie dem Räuber, au<h dem Menſchen, lange nah und gibt ihre Sorgen durch beſtändiges ängſtliches Hin- und Herlaufen und dur<h Rufen zu erkennen. „Mich hat dieſe Mutterzärtlichkeit“ ſagt Dietrich aus dem Win>ell, „mehr als einmal dahin vermocht, das Kalb, welches ih ſhon mitgenommen hatte, wieder in Freiheit zu ſezen, und die Mutter belohnte näch reihli< dafür dureh die ſorgſamen Unterſuchungen, ob dem Kinde ein Unfall zugeſtoßen ſei oder niht. Freudig ſprang ſie um das unbeſchädigt gefundene Kleine herum und ſchien es mit Liebkoſungen zu überhäufen, indem ſie ihm zugleich das Geſäuge zur Nahrung darbot.“ Etwa 8 Tage nach der Geburt nimmt die Ricke ihre Kälber mit zur Äſung, und nah 10—12 Tagen ſind ſie vollkommen ſtark genug, ihr na<hzueilen. Nun kehrt ſie mit ihnen auf den alten Stand zurü>, gleichſam in der Abſicht, dem Vater ſeine Sprößlinge jeßt vorzuführen. Dieſe beſaugen ihre Mutter bis zum Auguſt, nehmen aber ſhon im zweiten Monate ihres Lebens feineres, grünes Geäſe mit an; die Mutter lehrt ſie die Auswahl treffen. Mit dem Alter von 14 Monaten ſind ſie fortpflanzungsfähig geworden.

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