Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Wildſchwein: Fortpflanzung. Jagdweiſen. 519

Jahre. Ein zahmes Shwein wird niemals ſo alt; denn der Mangel an Freiheit und an zuſagendem Fraße verkürzen ihm ſein Leben. Die Wildſchweine ſind wohl nux wenigen Krankheiten ausgeſeßt. Bloß außerordentlich ſtrenge Kälte mit tiefem Schnee, welcher ihnen das Brechen und das Auffinden der Nahrung unmöglih macht, oder, wenn er eine Rinde hat, auch die Haut an den Läufen verleßt, werden Urſache, daß in nahrungsarmen Gegenden manchmal viele von ihnen fallen. Wolf und Lus, auh wohl der ſhlaue Fuchs, welcher wenigſtens einen kleinen Friſchling wegzufangen wagt, ſind bei uns zu Lande die Hauptſeinde des Wildſhweines; in den ſüdlicheren Gegenden ſtellen die größeren Katen, zumal der Tiger, mit Eifer dem fetten Wildbret nah. Der größte Feind des Tieres iſt aber wiederum der Menſch. Denn die Jagd des Wildſchweines hat ſeit allen Zeiten als ein ritterliches, hoh geahtetes Vergnügen gegolten; gegenwärtig iſt ſie bei uns freilih mehr zu einer Spielerei geworden, niht aber mehr ein Kampf zwiſchen den Jägern und ihrem Wilde. Zu alten Zeiten war es freilih anders, zumal damals, als noc die Armbruſt und die „S<hweinsfeder“ oder das „Fangeiſen“ die gebräuchlichen Jagdwaffen waren. Die Schhweinsfeder, ein Spieß mit breiter, zweiſchneidiger Stahlſpiße und 8 cm langen Haken am Ende des 80 cm langen Eiſens, wurde benugßt, um das zornige Wildſchwein beim Anrennen auf den Jäger abzufangen. Man ſtellte ſich dem Schweine entgegen, indem man mit der re<hten Hand das Ende des hölzernen Stieles feſt an den Leib andrücte, mit der linken aber dem Eiſen die Nichtung zu geben verſu<hte. Sobald nun das blindwütende Tier heranſ<hoß, richtete man das Ciſen ſo, daß die Spitze ihm auf den Unterhals oberhalb des Bruſtbeines zu ſtehen kam, und der Stoß des anrennenden Schweines war dann auch regelmäßig ſo heftig, daß die ganze Spitze bis zu den Haken, welche das weitere Eindringen verhinderten, dem Wildſchweine in die Bruſt fuhr, bei rihtigem Gebrauche der Waffe ihm das Herz dur<hbohrend. Schwächere Sauen ließ man nux auf den Hirſhſänger anlaufen, indem man dieſen, das Heft mit der rehten Hand gefaßt, über dem rechten, etwas gebogenen Knie anſetzte und den Körper auf den linken, hinterwärts angeſeßten Fuß ſtüßte.

Jn ſüdlicheren Ländern wird ſolche Jagd noch vielfah ausgeübt, wenn auch mit einigen Abänderungen. Die Beduinen der Sahara und die Engländer in Jndien betreiben ihre Jagd zu Pferde und ſtoßen dem Schweine von oben herab ſcharfe Lanzen durch den Leib. Nach falſchen Stößen ſuchen ſie, dank ihrer Geſchicklichkeit im Reiten, vor dem etwa wütend auf ſie eindringenden Feinde das Weite, kehren aber augenbli>li< um, verfolgen das Wild ihrerſeits wieder und bringen ihm anderweitige Stöße bei, bis es erliegt.

Gegen die Hunde verteidigt ſih das Wildſchwein mit nachhaltiger Wut. Man benußte in früheren Zeiten zur Saujagd die ſogenannten Saufinder und Hebhunde, mutige, ſtarke und flüchtige Tiere, welche in halbwildem Zuſtande gehalten und nur auf Schwarzwild gebraucht wurden. Die Saufinder mußten das Wild ſuchen, die Heßhunde de>ten es. Ehe es zum Packen fam, d. h. ehe die Hunde ſi< am Gehöre ihrer Feinde feſtbiſſen, wurde manchem Hunde der Leib aufgeriſſen oder ſonſt eine Wunde geſchlagen. Auf beiden Seiten wehrte man ſih mit gleicher Tapferkeit, aber wenn 8—9 der ſtarken und wehrhaften Hunde über das Schwein hexfielen, mußte es ſich ergeben. Das von den Hunden angegriffene Schwein ſuchte fih klugerweiſe den Rücken zu de>en und ſeßte ſich zu dieſem Zwecke gewöhnlich an einen Baumſtamm oder ins Gebüſch, nah vorn hin wütend um ſich hauend. Die erſten Hunde waren am ſchlimmſten daran. Hatte aber einmal einer dieſer trefflichen Jagdgehilfen ſih am Schweine feſtgebiſſen, ſo war er niht wieder loszubringen: ex hätte ſich eher Hunderte von Schritten weit ſ{leifen laſſen. So wurde das Wildſchwein feſtgehalten, bis der Jäger herbeikam, um es abzufangen. Die Hunde wurden, wie von Kobell bemerkt, beim Verfolgen der Sau oft ſo wütend, daß ſi ein reitender Jäger in aht nehmen mußte, zwiſchen ſie und die Sau zu kommen, weil ſie zuweilen über Noß und Reiter herfielen.