Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Nordwal: Blaſen. Weſen. Fortpflanzung. Wert. 599

beide ihre Bruſtfloſſen gegen den Leib des anderen drüc>en und das Männchen das Waſſer dur heftige Bewegung ſeines Shwanzes aufbrauſen läßt. Die Tragzeit ſhäßt Brown, im Einklange mit Scoresby und anderen, auf 10 Monate, erklärt au< ausdrüd>lih die Meinung, daß der Grönlandwal nur alle 2 Jahre gebäre, für irrtümlich, ohne jedoch die Shwierigkeit einer beſtimmten Beobachtung hierüber in Abrede zu ſtellen. Jn der Regel bringt das Weibchen ein einziges, in ſeltenen Fällen zwei Junge zur Welt. Die Geburt erfolgt im März oder April; in leßterem Monate erlegte ein Walfänger ein Junges mit no< anhängender Nabelſhnur. Das Junge ſaugt lange Zeit, vielleicht ein ganzes Jahr, und zwar ganz in der bereits beſchriebenen Weiſe, indem ſi die Alte etwas auf die Seite neigt, um ihm die Zige zu bieten. Nah Scammon iſt die Größe des neugeborenen Jungen ſehr verſchieden: dur<ſhnittli<h mag der zur Welt kommende Säugling eine Länge von 3—5 m erlangt haben. Das Wachstum geht außerordentlih raſh vor ſih, ſo daß das Junge bereits während ſeiner Saugzeit eine Länge von mindeſtens 6 m bei einem Umfange von 4m und ein Gewicht von 6000 kg erreichen kann. Nach den übereinſtimmenden Beobachtungen aller Berichterſtatter liebt die Mutter ihr Junges in hingebender Weiſe. Man fängt leßteres, welches die Gefahr nicht kennt, mit leichter Mühe, hauptſählih zum Zwecke, die Alte herbeizulo>en. Sie kommt dann auch glei<h dem verwundeten Kinde zu Hilfe, ſteigt mit ihm an die Oberfläche, um zu atmen, treibt es an, fortzuſhwimmen, ſucht ihm auf der Flucht behilflih zu ſein, indem ſie es unter ihre Floſſen nimmt, und verläßt es ſelten, \olange es no< lebt. Dann iſt es gefährlich, ſi<h ihr zu nähern. Aus Angſt für die Erhal: tung ihres Kindes ſeßt ſie alle Rüſichten beiſeite, fährt mitten in die Feinde und bleibt noh bei ihrem Jungen, wenn ſie ſelbſt ſhon von mehreren Harpunen getroffen iſt.

Der Nuten des erlegten Tieres iſt ſehr bedeutend. Wie Pechuel-Loeſche ausführt, gibt es niht bloß kleine und große, ſondern auch fette und magere Wale, ebenſo iſt der Spe> ſelbſt niht gleich ergiebig, da man aus einer bedeutenden Maſſe manchmal wider Erwarten wenig Thran gewinnt. Den dur<ſchnittlihen Ertrag eines Nordwales nimmt unſer Gewährsmann zu 12—15,000 Liter Thran und 700—1000 kg Fiſchbein an; den größten ihm bekannt gewordenen Ertrag lieferte ein Tier, welches Kapitän Winslow, Bark „Lamerlane“ 1867 im Beringmeere erbeutete, nämlich 36,500 Liter Thran. Je nach den ſehr [<wankenden Preiſen von Thran und Fiſchbein mag der dur<hſchnittlihe Wert eines Nordwales 20,000 Mark betragen; ein Hauptwal kann aber auch das Doppelte dieſer Summe einbringen. Die größere Hälfte des Geſamtertrages entfällt gewöhnlih auf das Fiſchbein, welhes feine andere Walart in ſo vorzüglicher Beſchaffenheit beſißzt. Das Fleiſch darf man nicht als ungenießbar bezeichnen; franzöſiſhe Schiffsköche haben es, laut Brown, ſehr wohl zu verwenden gewußt. Die hochnordiſchen Völkerſchaften eſſen es ohne Bedenken und verzehren au< den Spe>.

Unbedrängt von Menſchen, erreicht der Nordwal wahrſcheinlih ein ſehr hohes Alter. Diejenigen, welche man als Leichen auf den Wellen treibend findet, ſind in der Regel harpuniert worden und ihren Wunden erlegen; niht wenige aber werden ſpäter gefangen, welche die in ihrem Speke eingebetteten Eiſen ohne erſichtlichen Schaden jahrelang mit ſich geſchleppt haben mögen. Außer dem Menſchen greift den lebenden Walfiſch wahrſcheinlich einzig und allein der furhtbare Shhwertwal an. Jn hohem Grade läſtig mögen dem Nordwale verſchiedene zu den Krebſen gehörige Schmarozer werden, welche ſich auf ſeinem Leibe ſeſtſeßgen. Die ſogenannte Walfiſchlaus, ein Flohkrebs, bürgert ſich oft zu Hunderttauſenden auf ihm ein und zerfrißt ihm den Nücken ſo, daß man vermuten möchte, eine bösartige Krankheit habe ihn befallen. Auch Meereicheln bede>en ihn nicht ſelten in großer Menge und bilden wieder für mancherlei Seepflanzen geeignete Anhaltspunkte, ſo daß es Wale gibt, welche eine ganze Welt von Tieren mit ſi< herumtragen müſſen.