Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

628 Dreizehnte Drdnung: Waltiere; vierte Familie: Narwale.

nach hinten, das halbmondförmige Atemloh auf der Stirnmitte zwiſchen den Augen. Von ihm aus führt eine kurze gemeinſchaftlihe Röhre nah zwei unter dem Atemloche ſi<h ausbreitenden, weiten, ſa>artigen, mit dunkelgrauer Haut ausgetleideten Luftbehältern, welche mit den Luftröhren ſih verbinden und oben dur< Klappen geſchloſſen werden können. Eine NRückenfinne fehlt, wird aber dur< eine Hautfalte angedeutet; die Bruſtfloſſen ſind etwa im erſten Fünftel des Leibes eingelenkt, kurz, eiförmig und vorn di>er als hinten; die ſehr große Schwanzfinne zerfällt, weil ſie in der Mitte einen tiefen Einſchnitt zeigt, in zwei große Lappen. Die Färbung der glänzenden und weichen, ſamtartigen Haut ſcheint, je nah Ge{<le<t und Alter, niht unerheblichen Veränderungen unterworfen zu ſein. Beim Männchen heben ſi<h von der weißen oder gelblihweißen Grundfärbung zahlreiche, unregelmäßig geſtaltete, meiſt längliche, aber verhältnizmäßig große, dunkelbraune Fleœen ab, welche auf dem Rücken am dichteſten, am Bauche am dünnſten ſtehen und am Kopfe faſt ineinander verfließen; beim Weibchen ſind die Fle>en kleiner und dichter geſtellt als beim Männchen; junge Tiere endlih ſehen no< dunkler aus als alte. Es gibt jedo< auch rein- oder faſt reinweiße und ebenſo grauliche, einfarbige Stücke. Die Geſamtlänge des Narwales ſoll bis auf 6 m anſteigen können, beträgt jedo< in der Regel niht mehr als 4—5 m, die Länge der Bruſtfinne 30—40 em, die Breite der Shwanzfinne 1—1,3 m.

Daß unſere Vorfahren vom Narwale fabelhafte Geſchichten zu erzählen wußten, darf uns niht in Erſtaunen ſeßen. Ein ſo auffallend geſtaltetes Tier erregt notwendigerweiſe die Verwunderung des Menſchen, und ſolange die Wiſſenſchaft nicht ihr entſcheidendes Wort geſprochen, iſt die liebe Phantaſie beſchäftigt. Namentlih über den Zahn hat man allerlei gemutmaßt. Schon Strabon ſpriht von einem „Oryx“ des Meeres, welcher ſehr groß ſei und ſi häufig in Geſellſchaft des Walfiſhes in der Nähe von Spanien herumtreibe. Albertus Magnus erzählt mehr von dieſem Tiere und bezeihnet es als einen Fiſh, welher ein Horn an der Stirn trage, womit ex Fiſche und gewiſſe Schiffe zu durhbohren vermöge, aber ſo faul ſei, daß diejenigen, welche er angreife, leiht entfliehen könnten. “ Rochefort gibt die erſte gute Abbildung und zuerſt die Erzählung, laut welcher unſer Wal ſein Horn zum Kampfe gegen andere Wale gebrauchen, damit aber au< das Eis zertrümmern ſoll, weshalb man viele mit abgebrochenen Zähnen finde. Erſt Fabricius bezweifelt, daß der Narwal Schollen und andere Fiſche, welche ſeine Nahrung bilden, mit dem Zahne anſteche und denſelben dann in die Höhe rite, bis feine Beute allmählih gegen das Maul rutſche, ſo daß er ſie endlih mit der Zunge einziehen könne. Scoresby endlih ſtimmt mit denen überein, welche den Stoßzahn als notwendiges Werkzeug zur Zertrümmerung des Eiſes betrahten. Wir unſererſeits dürfen in dieſem Zahne wohl nur eine Waffe ſehen, wie ſie das männliche Geſ<hlecht ſo oft vor dem weiblichen voraus hat, wüßten es uns ſonſt wenigſtens nicht zu erklären, wie das jener Meinung nach entſchieden benachteiligte, unbezahnte Weibchen ſi helfen könnte, wenn die von den genannten Schriftſtellern erdachten Notfälle eintreten ſollten.

Der Narwal , ein Bewohner der nördlichen Meere, wird am häufigſten zwiſchen dem 70. und 80. Grade der nördlichen Breite getroffen. Fn der Davisſtraße und Baffinbai, im Eismeere zwiſchen Grönland und Jsland, um Nowaja Semlja und weiter in den nordſibiriſchen Meeren iſt er häufig. Südlich des Polarkreiſes kommt er ſelten vor: an Den Küſten Großbritanniens ſtrandeten, ſoviel mir bekannt, in den leßten Fahrhunderten nur vier Narwale; an den deutſchen Küſten wurden nur im Fahre 1736, aber zweimal, ſolche beobachtet und erlegt. Jn ſeiner Heimat begegnet man ihm faſt ausnahmslos in zahlreichen Herden; denn er ſteht an Geſelligkeit hinter keinem einzigen ſeiner Verwandten zurü>. „Gelegentlih ſeiner Wanderungen“, ſagt Brown, „habe ich ſolche Herden geſehen, welche viele Tauſende zählten. Zahn an Zahn und S<hwanzfinne an Schwanzfinne, ſo zogen ſie