Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Vierzehnte Ordnung. Vie Beuteltiere (Marsupialia).

Die Klaſſe der Säugetiere weiſt neben den Ordnungen der Affen, Wale und Gabeltiere feine gleihwertige Gruppe auf, wel<he unſere Beachtung mehr auf ſi ziehen könnte als die Ordnung der Beuteltiere. Eine genauere Betrachtung der leßteren belehrt uns, daß der Ordnungsbegriff bei ihnen eine ſonſt nicht übliche Ausdehnung erfahren hat. Wix vereinigen unter dem Namen Beuteltiere eine niht unbeträchtliche Anzahl verſchiedenartiger Säugerfamilien, wel<he mit Ausnahme des Beutels der Art der Fortpflanzung und der Ge[<le<t8wertzeuge wenig miteinander gemein haben und weit eher als Ordnungen einer aus ihnen zu bildenden Unterklaſſe der Säuger gelten könnten.

Bei Prüfung der betreffenden Tiere drängt ſich uns die Anſchauung auf, es bei ihnen mit einer Gruppe zu thun zu haben, deren Blütezeit in den Tagen der plumpen Lurche des Feſtlandes, der Flugehſen der Lüfte, der Seedrachen der Meere zu ſuchen iſt. Sehr gewichtige Gründe deuten darauf hin, daß die Beuteltiere nichts anderes ſind als nur wenig veränderte Nachkommen der Säuger vergangener Schöpfungsabſchnitte.

Genauere Betrachtung der Beuteltiere und ihre Vergleichung mit anderen Säugern ergibt, daß die Ungleichmäßigkeit ihrer oft an Mitglieder anderer Ordnungen erinnernden Geſtalt niht minder auffällig iſt als deren Unvollkommenheit, verglichen mit Tieren, denen ſie ähneln. Gerade dieſe Ähnlichkeit mit anderen, höher entwi>elten Klaſſenverwandten ſcheint ein Fingerzeig für ihre Bedeutung zu ſein. Wären ſie wirkli Angehörige entwi>elterer Ordnungen, ſo müßte auch deren hauptſächlichſtes Merkmal, das Gebiß, bei den Beuteltieren eine ähnliche Entwicfelung zeigen; denn der Begriff einer Ordnung gründet ſich im weſentlichen mit auf das Gebiß, und wenn uns auc, abgeſehen von dem Beutel, der Beutelwolf äußerlich als ein ziemlih wohlgebildeter Hund, der Beutelmarder als eine Schleichkaße/ die Beutelmaus als Spißmaus, der Wombat als Nagetier erſcheinen mag, während das Beuteleihhorn dem Flughörnchen ähnelt und das Känguruh den Kopf eines Wiederkäuers zu tragen ſcheint, ſo weiſen do< überall das Gebiß und der innere Bau dieſer Beuteltiere durchgreifende Verſchiedenheiten von dem der mit ihnen verglichenen Angehörigen höherer Ordnungen auf verhindern eine Vereinigung mit ihnen.

Vergleicht man nun ein Beuteltier etwa mit einem Naub- oder Nagetiere, ſo macht ſich ſofort auch dem blödeſten Auge bemerklih, daß der Beutler unter allen Umſtänden minder ausgebildet, entwi>elt und vollendet iſt als der ihm ähnliche Räuber oder Nager. Dieſes Nüctſtändige des Beutlers bekundet ſich entweder in der Geſtaltung des ganzen Leibes oder in der Bildung einzelner Glieder oder im Gebiſſe. Man ſpricht mit Befriedigung vom anmutigen Bau vieler Raub- und Nagetiere, gelangt aber bei Betrachtung eines Beuteltieres nur ſelten

Brehm, Tierleben. 3. Auflage, UL 41