Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Allgemeines. 643

befindlihen Jungen vor dem Drucke der Baucheingeweide ihrer Mutter zu ſhüßen. Jm Beutel liegen die Milchzizen, an denen die frühgeborenen Fungen ſi<h anſaugen. Der Beutel kann eine vollkommene Taſche ſein, aber auch bis auf zwei Hautfalten oder gänzlich verkümmern. Die Fungen kommen in einem Zuſtande zur Welt wie kein einziges höheres Säugetier. Sie ſind klein, na>t und blind, beſißen nur ſtummelartige Gliedmaßen. Nachdem ſie geboren ſind, ſaugen ſie ſih an einer der Zißen, welche gewöhnlih wie eine lange, feulenförmige Warze ausſieht, feſt und wachſen nun in der nächſten Zeit beträchtlih. Dann bilden ſie ſih raſh aus und verlaſſen zeitweilig Ziße oder Beutel.

Wir müſſen, um den Geburtshergang weiter zu verfolgen, vorher notwendig einen Bli> auf den inneren Bau der Fortpflanzungswerktzeuge werfen. Die weiblichen Geſchlechtsteile beſtehen aus zwei Cierſtö>en, zwei Muttertrompeten, zwei Fruchthaltern und zwei Scheiden. Die Cierſtö>e ſind klein und einfah oder groß und traubig, am größten unter allen genauer unterſuhten Säugetieren überhaupt bei dem Wombat, und jeder Eileiter erweitert ſi zu einem beſonderen Fruhhthalter, welcher in ſeine eigene Scheide mündet. Der Keimling iſt niemals dur einen Mutterkuchen mit dem Fruchthalter verbunden.

Nach einer ſehr kurzen Tragzeit wirſt das Beuteltier ſeine Jungen, nimmt ſie mit dem Maule auf und legt ſie an eine Zige. Hier bleiben ſie hängen, bis ſich die Sinneswerkzeuge und Gliedmaßen entwi>elt haben, und bei den mit entwi>eltem Beutel verſehenen Formen iſt der Beutel ſolange nicht allein Neſt und Zufluchtsort, ſondern auch gleichſam ein zweiter Fruchthalter, noh einmal der Mutterleib. Von hier aus macht das junge Beuteltier ſpäter größere und immer größere Ausflüge; ſeine ganze Kindheit aber verbringt es an der Zige, und bei mehr als einem Mitgliede dieſer merkwürdigen Ordnung, welches bloß einen Monat oder etwas darüber in dem wirklihen Fruchthalter ausgetragen wurde, währt die Tragzeit im Beutel 6—®8 Monate. Von dem Tage der Empfängnis bis zu dem, an welchem das Junge ſeinen Kopf aus dem Beutel ſte>t, vergehen bei dem Rieſenkänguruh ungefähr 7 Monate, von dieſer Zeit bis dahin, wann es den Beutel zum erſten Male verläßt, noh etwa 9 Wochen, und ebenſo lange lebt dann das junge Geſchöpf noch teils im Beutel, teils außerhalb desſelben. Die Anzahl der Fungen kann ſehr beträhhtlih ſein.

Wie bereits bemerkt, bewohnen die Beuteltiere gegenwärtig Auſtralien und einige benachbarte Fnſeln ſowie Süd- und Nordamerika. Jn Amerika finden ſi nur die Mitglieder einer Familie, die meiſten im Süden des Erdteiles. Entſprechend dem ſehr verſchiedenen Leibesbaue haben die Beuteltiere in ihrer Lebensweiſe wenig Gemeinſames; die einen ſind eben Räuber, die anderen Pflanzenfreſſer; viele leben auf dem feſten Boden, andere auf Bäumen, einige ſelbſt zeitweilig im Waſſer; die meiſten ſind Nachttiere, manche auch bei Tage thätig. Unter den Räubern gibt es gewandte Läufer und Kletterer, unter den Pflanzenfreſſern behende und ausdauernde Springer; doh läßt ſich bei Vergleichung mit höher entwidelten Säugetieren niht verkennen, daß dieſe wie jene auh an Beweglichkeit hinter leßtgenannten zurückſtehen: ſelbſt der vollendetſte Raubbeutler erreicht niht entfernt die Beweglichkeit des Naubtieres. Das Känguruh ſteht einem Hirſche oder einer Antilope nah, und der Wombat wird von jedem, ſelbſt dem plumpeſten Nager bei weitem übertroffen. Ähnlich verhält es ſi mit den höheren Fähigkeiten der Beuteltiere; ſie kommen auch in dieſer Hinſicht anderen Säugern nicht gleich. Höchſtens die Sinnesfähigkeiten dürften bei ihnen annähernd auf derſelben Stufe ſtehen wie bei anderen Säugetieren, der Verſtand dagegen ift immer unverhältnismäßig gering. Jedes einzelne Beuteltier erſcheint, verglichen mit einem ihm etwa entſprechenden höheren Säuger, als ein geiſtloſes, weder der Ausbildung no< der Veredelung fähiges, der Lehre und dem Unterrichte unzugängliches Geſchöpf. Niemals würde es mögli geweſen ſein, aus dem Beutelwolfe ein Menſchentier zu ſchaffen, wie der Hund es iſt. Die Unvollkommenheit, Noheit und Plumpheit der Beuteltiere offenbart ſi< namentlich,

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