Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Dohle: Verbreitung. Weſen. Fortpflanzung. Begabung. 445

namentli<h Getreidekörner, Blattſpißen von Getreide, Wurzelfknollen, keimende und ſchoſſende Gemüſe, Früchte, Beeren und dergleichen, kann daher in Gärten und Obſtpflanzungen wenn niht empfindlih, ſo do<h merklih {hädli< werden, plündert in Rußland und Sibirien auch Getreidefeimen und Tennen. Ob man deshalb berechtigt iſt, ſie als überwiegend ſchädlichen Vogel zu bezeichnen, erſcheint mir zweifelhaft; ih möchte im Gegenteile annehmen, daß der von ihr auf Flur und Feld geſtiftete Nußen den von ihr verurſachten Schaden mindeſtens ausgleiht, wenn nicht übertrifft. .

Die Dohle zieht im Spätherbſte mit den Saatkrähen von uns weg und erſcheint zu derſelben Zeit wie dieſe wieder im Vaterlande; nicht wenige ihres Geſchlechtes überwintern jedo< au< in Deutſchland, insbeſondere in unſeren Seeſtädten; ebenſowenig verlaſſen alle Dohlen Rußland und Sibirien, ſo ſtreng der Winter hier auch auſtreten möge. Fhre Winterreiſe dehnt ſie bis Nordweſtafrika, Nordweſtaſien und Jndien aus. Jn Ägypten haben ſie weder von Heuglin noch ih jemals beobachtet, obglei<h Rüppell ſie dort häufig gefunden haben will; in den Atlasländern dagegen kommt ſie vor, und in Spanien, Süditalien, Griechenland, Kleinaſien, Armenien, Kaukaſien und Kaſchmir, woſelbſt ſie freilih übera!l auch brütet, iſt ſie regelmäßiger Wintergaſt. Sobald der Frühling wirklih zur Herrſchaft gelangt iſt, haben alle Paare die altgewohnten Brutpläße wieder bezogen, und nun regt ſich hier tauſendfältiges Leben. Einzelne Dohlen niſten unter Saatkrähen, die große Mehrzahl aber auf Gebäuden. Hier findet jede Mauerlücke ihre Bewohner; ja es gibt deren gewöhnli<h mehr als Wohnungen. Deshalb entſteht viel Streit um eine geeignete Niſtſtelle, und jede bauluſtige Dohle ſucht die andere zu übervorteilen, ſo gut ſie kann. Nur die ſchärfſte Wachſamkeit ſhüßt ein Paar vor den Diebereien des anderen; ohne die äußerſte Vorſicht wird Bauſtelle und Neſt erobert und geſtohlen. Das Neſt ſelbſt iſt verſchieden, je nah dem Standorte, gewöhnlih aber ein ſ{<le<ter Bau aus Stroh und Reiſern, der mit Heu, Haaren und Federn ausgefüttert wird. Das Gelege bilden 4—6, etwa 35 mm lange, 25 mm dide, auf blaß blaugrünlihem Grunde ſ{<warzbraun getüpfelte Eier. Die Fungen werden mit Kerbtieren und Gewürm groß gefüttert, äußerſt zärtlich geliebt und im Notfalle auf das mutigſte verteidigt. „Läßt ſih“/, ſagt Naumann, „eine Cule, ein Milan oder Buſſard bli>en, ſo bricht die ganze Armee mit gräßlichem Geſchrei gegen ihn los und verfolgt ihn ſtundenweit. Wenn ſih die Jungen einigermaßen kräftig fühlen, machen ſie es wie die jungen Krähen, ſteigen aus den Neſtern und ſeßen ſich vor die Höhlen, in welchen ſie ausgebrütet ſind, kehren aber abends wieder ins Neſt zurü>/ bis ſie ſih endlich ſtark genug fühlen, die Alten aufs Feld zu begleiten.“

Ungeachtet der ſtarken Vermehrung nehmen die Dohlenſcharen nurx in einzelnen Städten erhebli, in anderen dagegen nicht oder doh nicht merklich zu, ohne daß hierfür die Urſache erkfenntlih wäre. „Was wird aus den zahlreichen Jungen?“ fragt Liebe. „Wanderfalken und Uhus find. jezt in Mitteldeutſchland viel zu ſelten geworden, als daß ſie weſentlich ſchaden könnten, und die Unbilden der Witterung thun den abgehärteten und klugen, in den Ortſchaften angeſiedelten Allesfreſſern ſicher nihts.“ Der Menſch befehdet ſie bei uns zulande niht, thut aber au< denen, welhe wandern, wenig zuleide, und die außerdem noch zu nennenden Feinde, Hauskaße, Marder, Fltis und Habicht können dem Beſtande doh ebenfalls ſo erhebliche Verluſte niht zufügen, daß ſich ihr geringer Zuwachs erklären ließe.

Kein Nabe wird häufiger gefangen gehalten als die Dohle. Jhr heiteres Weſen, ihre Gewandtheit und Klugheit, ihre Anhänglichkeit an den Gebieter, ihre Harmloſigkeit und ihre Nachahmungsgabe endlich ſind wohl geeignet, ihr Freunde zu erwerben. Ohne Mühe kann man jung aufgezogene gewöhnen, aus- und einzufliegen. Sie gewinnen das Haus ihres Herrn bald lieb und verlaſſen es auch im Herbſte niht oder kehren, wenn ſie wirklich die Winterreiſe mit anderen ihrer Art antreten, im nächſten Frühjahre nicht ſelten zu ihm zurü>.