Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Alpenträhe. Alpendohle. 479

beſiedelt ſie mit dieſer dieſelben Bergzüge, bildet, wie ih beobachtet habe, mit ihr ſogar gemeinſchaftlihe Flüge.

„Wie zum Saatfelde die Lerche, zum See die Möwe, zum Stalle und der Wieſe die Ammer und der Hausrotſhwanz, zum Kornſpeicher die Taube und der Spag, zum Grünhage der Zaunkönig, zum jungen Lerchenwalde die Meiſe und das Goldhähnchen, zum Feldbache die Stelze, zum Buchwalde der Fink, in die zapfenbehangenen Föhren das Eichhorn gehört“, ſagt Tſchudi, „ſo gehört zu den Felſenzinnen unſerer Alpen die Bergdohle oder Schneekrähe. Findet der Wanderer oder Jäger auch ſonſt in den Bergen keine zwei- oder vierfüßigen Alpenbewohner: eine Schar Bergdohlen, die zankend und ſchreiend auf den Felſenvorſprüngen ſigen, bald aber ſhrill pfeifend mit wenigen Flügelſchlägen auffliegen, in ſhne>enförmigen Schwenkungen in die Höhe ſteigen und dann in weiten Kreiſen die Felſen umziehen, um ſi< bald wieder auf einem davon niederzulaſſen und den Fremden zu beobachten, findet er gewiß immer, ſei es auf den Weiden über der Holzgrenze, ſei es in den toten Geröllhalden der Hochalpen, ebenſo häufig au< an den na>ten Felſen am und im ewigen Schnee. Fand do< von Dürrler ſelbſt auf dem Firnmeere, das die höchſte Kuppe des Tödi, mehr als 3500 m über dem Meere, umgibt, noh zwei ſolcher Krähen und Meyer bei ſeiner Erſteigung des Finſteraarhorns in einer Höhe von über 4000 m über dem Meere no< mehrere Stü>e. Sie gehen alſo noh höher als Schneefinken und Schneehühner und laſſen ihr helles Geſchrei als eintönigen Erſaß für den trillernden Geſang der Flüeler<he und des Zitronfinken hören, welcher faſt 1000 m tiefer den Wanderer noch ſo ſreundlih begleitete. Und doch iſt es dieſem gar lieb, wenn er zwiſchen ewigem Eiſe und Schnee wenigſtens dieſe lebhaften Vögel ſih no< ſ{<hwärmend herumtreiben und mit dem Schnabel im Firne nach eingeſunkenen Kerbtieren ha>en ſieht.

„Wie faſt alle Alpentiere gelten au< die Schneekrähen für Wetterverkündiger. Wenn im Frühlinge noh rauhe Tage eintreten oder im Herbſte die erſten Schneefälle die Hohthalſohle verſilbern wollen, ſteigen dieſe Krähen ſcharenweiſe, bald hell krächzend, bald laut pfeifend, in die Tiefe, verſhwinden aber ſogleich wieder, wenn das Wetter wirklich rauh und ſ{<limm geworden iſt. Auch im härteſten Winter verlaſſen ſie nur auf kurze Zeit die Alpengebiete, um etwa in den Thalgründen dem Beerenreſte der Büſche nahzugehen, und im Januar ſieht man ſie no< munter um die höchſten Felſenzinnen kreiſen. Sie freſſen übrigens wie die anderen Rabenarten alles Genießbare; im Sommer ſuchen ſie bisweilen die höchſten Bergkirſchenbäume auf. Land- und Waſſerſchne>en verſhlu>en ſie mit der Schale (im Kropfe einer an der Spiegelalpe im Dezember geſchoſſenen Bergdohle fanden wir 13 Landſchne>en, unter denen fein leeres Häuschen war) und begnügen ſi in der ödeſten Nahrungszeit auch mit Baumknoſpen und Fichtennadeln. Auf tieriſche Überreſte gehen ſie ſo gierig wie die Kolfraben und verfolgen in gewiſſen Fällen ſelbſt lebende Tiere wie echte Raubvögel. Fm Dezember 1853 ſahen wir bei einer Jagd in der ſogenannten Öhrligrube am Säntis mit Erſtaunen, wie auf den Knall der Flinte ſi< augenbli>li< eine große Schar von Schneefrähen ſammelte, von denen vorher kein Stü> zu ſehen geweſen. Lange kreiſten ſie laut pfeifend über dem angeſchoſſenen Alpenhaſen und verfolgten ihn, ſolange ſie den Flüchtling ſehen konnten. Um ein unzugängliches Felſenriff des gleichen Gebirges, auf welchem eine angeſchoſſene Gemſe verendet war, kreiſten monatelang, nahdem der Leichnam ſchon kfnochenblank genagt war, die krächzenden Bergdohlenſcharen. Mit großer Unverſchämtheit ſtoßen ſie angeſichts des Jägers auf den ſtöbernden Dachshund. Jhre Beute teilen ſie nicht in Frieden. Schreiend und zankend jagen ſie einander die Biſſen ab und beißen und ne>en ſi beſtändig; doh ſcheint ihre ſtarke geſellige Neigung edler Art zu ſein. Wir haben oft bemerft, wie der ganze Schwarm, wenn ein oder mehrere Stü aus ihm weggeſchoſſen wurden, mit heftig pfeifenden Klagetönen eine Zeitlang noh über den erlegten ſchwebte.