Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Seidenſhwanz: Verbreitung. Wanderungen, Weſen. Stimme, 507

daß ſie ſih ſchon früher einſtellen, und ebenſo, daß ſie no< länger bei uns ſi< gefallen. Dies iſt denn au< der Grund geweſen, daß man geglaubt hat, einzelne Paare hätten bei uns geniſtet, während wir jeßt genau wiſſen, daß die Niſtzeit des Seidenſhwanzes erſt in das Spätfrühjahr fällt.

Während ihres Fremdenlebens in ſüdlicheren Gegenden, und alſo auh bei uns, ſind die Seidenſchwänze ſtets zu mehr oder minder zahlreichen Geſellſchaften vereinigt und halten ſih längere oder kürzere Zeit in einer beſtimmten Gegend auf, je nachdem ſie ihnen reidhlichere oder ſpärlihere Nahrung gibt. Es kommt vor, daß man ſie in dem einen Winter da, wo ſie ſonſt ſehr ſelten erſcheinen, wochen-, ja ſelbſt monatelang in großer Menge antrifft, und wahrſcheinli< würde dies noch viel öfter geſchehen, wenn ſie niht gar zu häufig erbarmungslos verfolgt würden; ihre Schönheit erſcheint, wie man meinen möchte, dem ungebildeten, rohen Menſchen ſo unverſtändlich, daß er nihts anderes zu thun weiß, als ſie zu vernihten. Möglich iſt freilich, daß die beklagenswerten Vögel no< unter den Nahwirkungen eines alten Aberglaubens zu leiden haben. Fn früheren Fahren wußte man ſih das unregelmäßige Erſcheinen der Seidenſhwänze niht zu erklären, ſah ſie als Vorausverkündiger ſchwerer Kriege, drücender Teurung, verſchiedener Seuchen und anderer Landplagen an und glaubte, ſie deshalb haſſen und verfolgen zu dürfen.

Der Seidenſhwanz gehört niht zu den bewegungsluſtigen Weſen, iſt vielmehr ein träger, fauler Geſell, der nur im Freſſen Großes leiſtet, und entſchließt ſih deshalb ungern, den einmal gewählten Plaß zu verlaſſen. Deshalb zeigt er ſih da, wo er Nahrung findet, ſehr dreiſt oder richtiger einfältig, erſcheint z. B. mitten in den Dörfern oder ſelbſt in den Anlagen der Städte und bekümmert ſih niht im geringſten um das Treiben der Menſchen um ihn her. Aber er iſt keineswegs ſo unverſtändig, wie es im Anfange ſcheinen will; denn wiederholte Verfolgung macht auh ihn vorſichtig und ſcheu. Anderen Vögeln gegenüber benimmt er ſih verträglich oder gleichgültig: er bekümmert ſih au< um ſie niht. Mit ſeinesgleichen lebt er, ſolange ex in der Winterherberge verweilt, in treuer Gemeinſchaft. Gewöhnlich ſieht man die ganze Geſellſchaft auf einem Baume, möglichſt nahe nebeneinander, viele auf einem einzigen Zweige, die Männchen vorzugsweiſe auf den Spißen der Kronen, ſolange ſie hier verweilen, unbeweglih auf einer und derſelben Stelle ſiven. Fn den Morgen- und Abendſtunden ſind ſie regſamer, fliegen na<h Nahrung aus und beſuchen namentlich alle beerentragenden Bäume oder Geſträuche. Zum Boden herab kommen ſie höchſtens dann, wenn ſie trinken wollen, hüpfen hier unbehilfli<h umher und halten ſih auch nie längere Zeit in der Tiefe auf. Jm Gezweige klettern ſie, wenn ſie freſſen wollen, gemächlih auf und nieder. Der Flug geſchieht in weiten Bogenlinien, iſt aber leicht, ſchön und verhältnismäßig raſh, die Flügel werden abwechſelnd ſehr geſ<hwind bewegt und ausgebreitet.

Die gewöhnliche Locfſtimme iſt ein ſonderbar ziſchender Triller, der ſih dur<h Buchſtaben nicht verſinnlichen läßt. Mein Vater ſagt, daß der Lockton wie das Schnarren eines ungeſ<mierten Schubkarrens klinge, und dieſer Vergleich ſcheint mir gut gewählt zu ſein. Außer dem Lo>tone vernimmt man zuweilen no<h ein flötendes Pfeifen, das, wie Naumann ſih ausdrü>t, gerade ſo flingt, als wenn man ſanft auf einem hohlen Schlüſſel bläſt; dieſer Laut ſcheint zärtliche Gefühle zu bekunden. Der Geſang iſt leiſe und unbedeutend, wird aber mit Eifer und ſcheinbar mit erheblicher Anſtrengung vorgetragen. Die Weibchen ſingen kaum minder gut oder nicht viel weniger ſhle<t, wenn auch nicht ſo anhaltend wie die Männchen, die im Winter jeden freundlichen Sonnenbli> mit ihrem Liede begrüßen und ſich faſt das ganze Fahr hindur< hören laſſen.

Jn ſeiner Heimat dürften während des Sommers die aller Beſchreibung ſpottenden Mückenſhwärme die hauptſächlichſte, falls nicht ausſchließlihe Nahrung des Seidenſhwanzes