Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

508 Erſte Drdnung: Baumvögel; zwanzigſte Familie: Fliegenfänger.

bilden; im Winter dagegen muß er ſih mit anderen Nahrungsſtoffen, zumal Beeren, begnügen. Die Kerbtierjagd betreibt er ganz nah Art der Fliegenfänger; die Beeren lieſt er gemächli<h von den Zweigen ab, zuweilen au< wohl vom Boden auf. Auffallend iſt, daß die gefangenen ſi< um Kerbtiere , die ihnen vorgeworfen werden, niht kümmern. „Den Droſſelarten““, ſagt Naumann, „die man in der Gefangenſchaft hält, kann man keine größere Wohlthat erweiſen, als wenn man ihnen manhmal ein Kerbtier gibt. Sie ſind begierig danah und fangen die Fliegen, die ſi<h an ihren Freßnapf ſeßten. Allein das thut kein Seidenſhwanz. Die Fliegen ſetßen ſih oft genug ungeſtraft an ſeinen Schnabel. Von allen Seidenſhwänzen, die ih gezähmt hatte, berührte kein einziger weder ein Kerbtier, noch. eine Kerbtierlarve, no< einen Regenwurm.“ Daß es in der Freiheit anders iſt, können wir gegenwärtig mit Beſtimmtheit behaupten. Wahrhaft widerli<h wird der Seidenſhwanz wegen ſeiner außerordentlihen Freßgier. Er verzehrt täglih eine Nahrungsmenge, die faſt ebenſoviel wiegt wie ſein Leib. Gefangene bleiben ſtets in der Nähe des Futternapfes ſigen, freſſen und ruhen abwechſelnd, um zu verdauen, geben das Futter nur halbverdaut von ſi< und verſchlingen, räumt man ihren Gebauer nicht immer ſorgfältig aus, den eignen Unrat wieder.

Bis in die neueſte Zeit war das Fortpflanzungsgeſchäft des Seidenſchwanzes gänzlich unbekannt. Erſt im Fahre 1857, am 16. Juni, gelang es Wolley, Neſt und Ei aufzufinden; die Entde>ung war jedo< ſhon im Jahre vorher von ſeinen Jagdgehilfen gemacht worden. Wolley hatte ſi< vorgenommen, ohne dieſes Neſt niht na< England zurü>zutehren, und weder Mühe noh Koſten geſcheut, um ſein Ziel zu erreichen. Nachdem die erſten Neſter gefunden worden waren, legte ſich, wie es ſcheint, die halbe Bewohnerſchaft Lavplands auf das Suchen, und ſhon im Sommer 1858 ſollen über 600 Eier eingeſammelt worden ſein. Die Neſter ſtehen regelmäßig auf Fichten, niht allzu hoh über dem Boden, wohl im Gezweige verborgen und ſind größtenteils aus Baumflechten gebaut; in ihre Außenwand ſind einige dürre Fichtenzweige eingewebt, innen ſind ſie mit Grashalmen und einigen Federn gefüttert. Das Gelege beſteht aus 4—7, gewöhnlih aber aus 5 Eiern und iſt in der zweiten Woche des Juni vollzählig. Die Eier ſind etwa 24 mm lang, 18 mm di> und auf bläuli<h oder rötlih blauweißem Grunde ſpärlih, am Ende dichter, kranzartig, mit dunkel: und hellbraunen, ſ<hwarzen und violetten Fle>en und Punkten beſtreut.

Auf dem Vogelherde oder in den Dohnen berü>t man den Seidenſhwanz ohne Mühe. „Fällt eine Schar in den Dohnenſteg“, berihtet Naumann, „ſo kommen nur wenige dieſer harmloſen Freſſer mit dem Leben davon. Sie fliegen der Reihe nah ſo lange aus einer Dohne in die andere, bis ſie ſi< fangen, und es iſt gar nichts Seltenes, daß ſich ihrer zwei auf einmal in einer Dohne erhängen; denn wenn ſchon einer, die Schlinge an dem Halſe, mit dem Tode ringt, ſo hält das einen anderen niht ab, no< nah den Beeren zu fliegen, die der erſte übrigließ, um ſi< no< in den übrigen Sthlingen zu fangen. Ebenſo unbeſonnen und ſorglos zeigen ſie ſih, wenn ſie an den Vogelherd kommen, wo ſie auf dem ſogenannten Strauchherde, den man für die Droſſelarten ſtellt, in Menge gefangen werden. Es bedarf nur eines guten Lo>vogels ihrer Art, um ſie herbeizulo>en; kaum ſind ſie angekommen, ſo fällt auh gleich die ganze Herde ein, und verſieht man da den rehten Zeitpunkt nicht, ſo bekommt man alle auf einen Zug. Zaudert man aber ſo lange, bis ſi einzelne ſatt gefreſſen haben, ſo fliegen ſie na< und nach alle auf einen nahen Baum und ſißen da jo lange, bis ſie von neuem hungrig werden, was aber eben nicht lange dauert. Dann kommen ſie jedoh nur einzeln, und man muß zuziehen, wenn nur erſt einige wieder auf dem Herde ſißen. Die übrigen fliegen zwar, wenn einige gefangen werden, weg, aber nie weit, und kaum iſt der Vogelſteller mit dem Wiederaufſtellen der Neße fertig und in ſeiner Hütte, ſo ſind ſie auh ſchon wieder da, und es kommt ſelten einer davon. Doch habe