Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

514 Erſte Ordnung: Baumvögel; zwanzigſte Familie: Fliegenfänger.

von etwa 14 Tagen ſind die Eier gezeitigt, in weiteren 3 Wochen die Jungen ausgeflogen; ſie werden dann aber no< lange Zeit von den Eltern geführt und geleitet. Jn Gegenden, in welchen die Trauerfliegenfänger regelmäßig brüten, kann man ſie dur< zwe>mäßig eingerichtete Niſtkäſten in beſtimmten Gärten oder Baumpflanzungen feſthalten, und ſie werden dann oft überraſchend zahm. „Ein Trauerfliegenfänger“, erzählt Baldamus, „der in einem Niſtkaſten meines Gartens brütete, hatte ſi<h dur< mein öfters wiederholtes Beobachten ſeiner Brutgeſchäſte dermaßen an außergewöhnliche Störungen gewöhnt / daß er ruhig auf dem Neſte ſien blieb, wenn ih den Kaſten in die Stube brachte und den Deel abnahm, um das trauliche Tierchen zu zeigen.“ Derſelbe Vogel gab, wie Baldamus ſpäter berichtet, einſt zu einem anmutigen Sherze Veranlaſſung. Zwei Vogelkundige erſten Ranges, Prinz Lucian Bonaparte und Schlegel, beſu<hten Baldamus und ſtritten ſi< mit ihm über dieſen Fliegenfänger und ſeinen Verwandten. Die weltberühmten Gelehrten vertraten den Standpunkt der Balgforſcher, ohne jedo<h Baldamus, einen ho<hbegabten Beoba<ter des Tierlebens überzeugen zu können. Zum Beweiſe für ſeine Anſicht holte leßterer das Niſttäſthen mit dem brütenden Fliegenfängerweibhen vom Baume herab, brachte es ins Zimmer, öffnete den De>el des Käſtchens und entſchied den Streit zu ſeinen gunſten.

Trauerfliegenfänger werden gern im Käfige gehalten, zählen au< zu den angenehmſten Stubenvögeln und erfreuen ebenſowohl durc ihr zahmes und artiges Weſen, wie dur< ihren Geſang. Wenn man ſie frei im Zimmer umherfliegen läßt, ſäubern ſie es gründlich von Fliegen und Mücken und werden fo zahm, daß ſie ihrem Pfleger die vorgehaltenen Fliegen aus der Hand nehmen.

Zn Deutſchland verfolgt die nüßlichen Vögel glülicherweiſe niemand; in Ftalien findet leider das Gegenteil ſtatt. Während des Herbſtzuges lauert hier vornehm und gering mit allerlei Neßen und Fallen auh auf ſie, und leider iſt ihr Fang nur zu ergiebig. Auf jedem Markte ſieht man während der Zugzeit Hunderte dieſer Vögel, die meuhlings gemordet wurden, um die abſcheulihe Schle>erei zu befriedigen. Es wird erzählt, daß ehedem auf der Jnſel Cypern die ſo erbeuteten Fliegenfänger und ähnliche Vögel mit Weineſſig und Gewürz eingemacht und in beſonderen Töpfen oder Fäſſern verpa>kt wurden. Solche Gefäße ſollen in Menge nah Ftalien verſandt worden ſein. Gegenwärtig ſcheint man ſih nicht mehr ſo viel Mühe zu geben, der alte Unfug aber ſteht no< in voller Blüte.

Im ODſten und Südoſten unſeres Vaterlandes lebt no< ein Mitglied der Familie, der Zwergfliegenfänger (Muscicapa parva, rubecula, minuta, lais und leucura, Erythrosterna parva und leucura, Saxicola rubeculoides, Synornis joulaimus, Rubecula tytleri, Thamnobia niveiveutris, \. Abbildung, S. 513), mit verhältnismäßig ſtarkem Schnabel und hochläufigen Füßen, eines der anmutigſten Vögelchen, die überhaupt in Deutſchland vorkommen. Das alte Männchen ähnelt im Frühjahre in der Farbenverteilung unſerem Rotkehlchen. Die Oberſeite iſt rötlih braungrau, auf dem Scheitel, dem Oberrücken und den ODberſchwanzdecfedern etwas dunkler, auf den großen Flügelde>federn und den hinteren Schwingen lichter gekantet; Kinn, Kehle, Gurgel, Kropf und Oberbruſt ſind roſtrötlich, die übrigen Unterteile trübweiß, die Handſchwingen ſhwärzli<h braungrau, lichter geſäumt. Bei jüngeren Männchen iſt das Rotgelb der Kehle bläſſer als bei alten. Die Weibchen unterſcheiden ſih durch düſtere, mehr gräuliche Farben von den Männchen. Das Auge iſt dunkelbraun, der Schnabel und die Füße ſind ſhwarz. Die Länge beträgt 12, die Breite 20, die Fittichlänge 7, die Shwanzlänge 5 em.

Ungeachtet aller bisherigen Forſchungen kann der Verbreitungskreis des Zwergfliegenfängers no< niht mit Sicherheit angegeben werden. Er tritt ſelten im Weſten, häufiger im Oſten Europas auf, verbreitet ſi<h über ganz Mittelaſien bis Kamtſchatka und beſucht