Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/2

94 Erſte Drdnung: Baumvögel; zweiundvierzigſte Familie: Ku>u>e.

Fenſtergeſimſes, auf welchem ſ<räg gegenüber ſich ein Neſt mit vier zur Zucht beſtimmten Gimpeln befand, die 12 Tage alt waren. Der Kueku> verhielt ſich einen halben Tag lang ganz ruhig in ſeiner E>e und wurde dort auch gefüttert; plößlih aber verſuchte er, ſih zu bewegen, watſchelte vorwärts, wandte ſih ſ<nurgerade dem Gimpelneſte zu, begann, dort angekommen, daran hinaufſzuklettern, nahm auf dem Rande eine feſte Stellung ein, arbeitete ſih mit der Bruſt vox und bemächtigte ſich troß des Widerſtandes der Eigentümer nac etwa zweiſtündigem Arbeiten des Neſtes wirklih. Hierbei führte er keine andere Bewegung aus, als mit feſt an das Neſt angelegter Bruſt und fächhelnder Bewegung der Flügel die jungen Gimpel vor ſi her auf die Seite zu drü>en, bis dieſe auf dem Rande des Neſtes angekommen waren und, obgleich ſie ſi< hier noc eine Zeitlang hielten, nah und nah über Bord glitten. Nachdem der Ku&u> das Neſt glücli<h erobert hatte, behauptete er ſih in ihm. „So grob und unverzeihlich dieſe Handlung von ihm war“, ſ<hließt Bru>lacher, „muß ih doh ſagen, daß er die Eigentümer in ſchönſter Weiſe aus ihrer Behauſung hinausförderte.“

Die Barmherzigkeit der kleinen Vögel, die ſi< auch bei dieſer Gelegenheit äußert, zeigt ſich bei Auffütterung des Kuckucks im hellſten Lichte. Mit rührendem Eifer tragen ſie dem geſräßigen Unholde, der an Stelle der vernichteten eignen Brut verblieb, Nahrung in Hülle und Fülle zu, bringen ihm Käferchen, Fliegen, Schne>en, Räupchen, Würmer und plagen ſih vom Morgen bis zum Abend, ohne ihm den Mund zu ſtopfen und ſein ewiges heiſeres „Z18 ziſt8““ verſtummen zu machen. Auch nah dem Ausfliegen folgen ſie ihm noc tagelang; denn er achtet ihrer Führung nicht, ſondern fliegt nah ſeinem Belieben umher, und die treuen Pfleger gehen ihm nah. Zuweilen kommt es vor, daß er niht im ſtande iſt, ſich dur die enge Öffnung einer Baumhöhlung zu drängen; dann verweilen ſeine Pflegeeltern ihm zu Gefallen ſelbſt bis in den Spätherbſt und füttern ihn ununterbrohen. Man hat Bachſtelzenweibchen beobachtet, die no< ihre Pfleglinge fütterten, als ſhon alle Artgenoſſen die Wanderung nah dem Süden angetreten hatten. So weit aber, wie Bechſtein es ausdehnt, geht es doh niht. „Wenn er ausgeflogen iſt, ſeßt er ſih auf einen nahe ſtehenden Baum, ſtre>t ſi< einigemal aus, zieht die Federn durh den Schnabel und läßt ſeine rauhe, ſhnarrende Stimme zum erſtenmal hören. Sobald das rauhe, kreiſchende „Girrke‘ nur einige Male in der Gegend exrſchollen iſt, ſo kommen alle kleinen Vögel zuſammengeflogen, das Rotkehlchen, die Gra3mücke, der Weidenzeiſig, die Baſtardnachtigall, die Braunelle, ſchwärmen um ihn herum, begrüßen ihn, beſehen ihn von allen Seiten, freuen ſi{h über ihn und tragen ihm alsbald aus allen Kräften Nahrung zu. Er kann nicht genug den Schnabel öffnen, fo häufig wird ihm Futter gebracht. Es iſt ein großes Vergnügen, zu ſehen, wie jeder Vogel vor dem anderen den Vorzug haben will, gegen dieſen unbekannten gefällig zu ſein, und ſowie ex nun von einem Baume zum anderen verzieht, um ſih im Fluge zu üben, ſo ziehen auh dieſe Vögel nah und ernähren ihn ſo lange, bis er ihrer Unterſtüßung entbehren kann.“ Leider iſt auh dieſe Behauptung Bechſteins unrichtig. Mein Vater ſette einen jungen Ku>u> als er re<t hungrig war, auf das Hausdach. Es liefen Bachſtelzen und Hausrotſchwänze auf dem Dache herum: ſie beſahen ihn, brachten ihm aber nichts zu freſſen. Ein anderer junger Ku>u> wurde auf demſelben Dache ausgeſeßt und ſpärlich gefüttert, ſo daß er immer ſchrie. Aber kein Sänger, keine Bachſtelze erbarmte ſih ſeiner. „Um meiner Sache gewiß zu werden“, ſagt mein Vater, „nahm ih ihn von meinem Dache herab und trug ihn hinaus in ein Thal, wo es in dem Gebüſche viele Sänger gibt. Hier ſeßte ih ihn auf einen Baumaſt, ohne ihn anzubinden, denn er konnte nur wenig fliegen. Jc wartete lange, während der Ku>u> aus vollem Halſe ſhrie. Endlich kam ein Laubſänger, der niht weit davon Junge hatte, mit einem Kerbtiere im Schnabel, flog auf den Kucku> zu, beſah ihn — und brachte das Futter ſeinen Fungen. Ein anderer Sänger näherte ſih ihm niht.“ Schade um die hübſchen Geſchichten von Bechſtein!