Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/2
28 Erſte Ordnung : Baumvögel; ſe<sunddreißigſte Familie: Hornvögel.
Der Marquis Antinori erhielt einen ebenfalls jung dem Neſte entnommenen Hornraben, ernährte ihn in derſelben Weiſe wie wir, vornehmlihh mit kleinen Fleiſchſtücen und Mäuſen, und gewöhnte ihn in kurzer Zeit ſo an \ih, daß er auf den Ruf ſeines Namens Abbagamba ſtets herbeigetrabt kam, um ſeine Nahrung entgegenzunehmen. Einmal an ſeinen Aufenthalt gewöhnt, lief er nah Belieben frei umher, flog zuweilen 200—300 Schritt weit, ließ ſi< aber von einem kleinen Knaben wieder heimtreiben und legte dann dieſelbe Stre>e, die er zuerſt im Fluge durchmeſſen hatte, in kleinen Sägen zurü>. Die Leichtigkeit, ihn zu erhalten und zu zähmen, dürfte ihn, wie Marquis Antinori meint, als empfehlenswerten Hausgenoſſen erſcheinen laſſen. Dur<h Fangen von Mäuſen und anderem Ungeziefer würde er ſih ſicherlih niht unerhebliche Verdienſte erwerben.
Daß nicht alle gefangenen Hornraben ſo anziehend ſind wie dieſer jung aufgezogene, geht aus einer Mitteilung von Bodinus hervor: „Du ſchäßeſt mi< im Beſiße des Hornraben glüdlih, ih mich ſelbſt aber niht. J< muß ſagen, daß der Vogel ein ungemein langweiliger Geſelle iſt, obwohl ſeine ganze Erſcheinung ſehr in die Augen ſällt. Als das Tier ankam, überwies ih ihm eine eigne Abteilung in meinem Geſellſchaftskäfige, in welcher ſih zufällig eine flügellahme Haustaube, ſonſt kein lebendes Weſen befand. Die erſte That des Hornraben, der ſi<h na< dem Herausnehmen aus dem Verſandkäfige ſcheu niederbü>te, wax, daß er, ſobald er ſh unbeobachtet glaubte, ſofort die Taube überfiel, tötete und halb auffraß. Wenn ih mi fern oder verſte>t hielt, ging ex, ungefähr wie ein Stelzvogel ſhreitend, in ſeinem Aufenthaltsorte umher, begehrlih na< allen bena<barten Vögeln ſchielend, und er würde dieſe gewiß getötet haben, wären ſie niht dur< ſichere Drahtwände von ihm getrennt geweſen. Nahte ſi<h ihm jemand, ſo drückte er ſh ſofort in eine E>e nieder und hielt ſi< ſo ruhig, daß man ihn für ausgeſtopft halten fonnte, hätte er niht das große, lebhafte Auge bewegt. Wendete man ſi einen Augenbli> ab, ſo ſchlüpfte er wie ein Pfeil in ſein Häuschen und verſuchte ſih jedem Blite zu entziehen. Allmählich erhob ex ſi< dann wieder und ſah ſih, langſam vorſhleihend, um, ob die Luft rein ſei. Hatte er ſih in dieſer Beziehung beruhigt, ſo ſchritt er mit gemeſſenen Schritten weiter und ſ{hwang ſi, halb ſpringend, halb fliegend, auf eine Sißſtange oder am liebſten auf die Spige einer Éleinen Tanne, die ſih unter dem Gewichte des Vogels umbog. Hier ſaß er dann ganz ruhig, obgleih es mir unbegreiflih war, wie er mit ſeinen kurzen Zehen ſi< auf dem ſ{hwankenden Site zu erhalten vermo<hte. Fmmer aber ſah er ſi< ängſtli<h um, ob ſih wohl auh jemand ihm nähere. Bei größerer Annäherung hatte man alle Urſache, ſih vor ſeinem mächtigen Schnabel in aht zu nehmen. Mit dem Auge jeder Bewegung des ſi< ihm nähernden Menſchen folgend, öffnete er den Schnabel und fuhr pfeilſhnell nah der ausgeſtre>ten Hand, und ſeine Viſſe waren ungemein kräftig und ſ<hmerzten empfindli<h. Die Nänder des Schnabels ſind fehr ſcharf, und der dazwiſchen geratende Finger iſt in großer Gefahr, halb abgeſchält zu werden, wie ih ſelbſt zu meinem niht geringen Verdruſſe erfahren mußte. Dennoch iſt es leiht, den Vogel zu packen; denn man braucht ihm mit der einen Hand nur einen Gegenſtand vorzuhalten, auf welchen ex ſein Augenmerk richtet, und kann ihn dann durch einen ſchnellen Griff mit der Hand am Halſe faſſen.
„Mein gefangener Hornrabe verſhmähte jede andere Nahrung als Fleiſch; Brot und Früchte rührte er niht an. Am liebſten verzehrte er Mäuſe, deren er 6—8 Stü> naheinander verſchlang; ebenſo waren ihm Vögel ſehr willkommen. Die Mäuſe wurden mit den Haaren, die Vögel mit allen Federn hinuntergewürgt. Ein einziger Biß genügte, um den armen Spag8, der mit Blißesſchnelle erfaßt wurde, zu töten. Regenwürmer waren gleichfalls eine geſuhte Speiſe unſeres Vogels; doch ſchien ihm alle dieſe Koſt nicht zuzuſagen, und i< möchte behaupten, daß ex in der Freiheit hauptſählih von Lurchen lebe. Troß der