Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/2

680 Sechſte Ordnung: Kranichvögel; erſte Familie: Kraniche.

„Der auffallende, große Vogel“, ſagt Naumann, „läßt den Beobachter nur ahnen, in dem Sumpfe müſſe er irgendwo ſein Neſt haben; aber die Stelle ſelbſt weiß er jenem dadurch ſtets zu verbergen, daß er ſi< von weitem her jederzeit nur zu Fuße in gebü>ter Stellung und unter dem Schugße hoher Pflanzen und des Gebüſches nähert, daß der auf dem Neſte ſißende bei annähernder Störung ſi<h ebenſo verſte>t davonſ<hleiht und weit vom Neſte aus dem freien Sumpfe erſt auffliegt und ſihtbar wird, oder au< wohl, wenn ihm der Lärm nicht gar zu nahe kommt, gar niht herausfliegt. Es läßt ſi< daher das Pläthen ſo ſ<hwer ausmitteln, wie es, wenn dies dur beſonderen Zufall geglü>t wäre, mühſam iſt, ſih ihm des tiefen Moraſtes wegen zu nähern.“ Gleichzeitig gebraucht der Krani< no< ein anderes Mittel, um ſi< unkenntlih zu machen. „Eines Tages“ erzählt E. von Homeyer, „lag i< in ſicherem Verſte>e neben einem Moore, in welchem ein Kranihpaar ſeinen Stand hatte, und beobachtete die beiden flugen Vögel und ihre anmutigen Bewegungen, als das Weibchen, ſi ganz unbeachtet wähnend, die doppelte Scheu des Vogels und des Weibes beſeitigend, begann, ſeine Pußkünſte zu entwi>eln. Es nahm von der Moorerde in den S<hnabel und ſalbte damit den Rücken und die Flügelde>en, ſo daß dieſe Teile das ſhöne Aſhgraublau verloren und ein düſteres erdgraubraunes Anſehen erhielten. Der Wiſſenſchaft zuliebe erlegte ih das ſhöne Tier und fand das Gefieder des Oberkörpers gänzlih von dem Farbſtoffe durhdrungen, ſo daß ich außer ſtande war, ihn bei der ſorgſältigſten Waſchung wieder zu entfernen; ſo feſt, vielleiht dur< den Einfluß des Speichels, hatte er ſi<h mit dem Gefieder vereinigt.“ — „Hiermit“, fügt Homeyer ſpäter hinzu, „war in einem Augenbli>e erklärt, wonach ih jahrelang getrachtet: die eigentümlihe Färbung des Kranihs während der Brutzeit. Nur während dieſer nimmt der Vogel dieſe Umfärbung vor; denn ſpäterhin ausfallende und nahwachſende Federn behalten ihre natürliche Färbung, woher es kommt, daß wir unter all den nordiſchen Kranichen, welche dur Deutſchland ziehen, keinen Roſt ſehen. Sie haben bereits das Kleingefieder vermauſert.“ Dieſe Beobachtungen E. von Homeyers wurden dur<h c<hemiſhe Unterſuchung, die Mewes anſtellte, durchaus beſtätigt.

Wie lange die Brutzeit dauert, weiß ih niht; wohl aber ſind wir über das Jugendleben der ausgeſ<hlüpften Kraniche einigermaßen unterrichtet. An gefangenen Geſchwiſtern hat man beobachtet, daß ſie ſich zuweilen wie Tauben ſhnäbeln, und deshalb angenommen, daß die Jungen anfänglih wohl von den Alten geaßt werden mögen; ſehr junge Kraniche aber, die ih erhielt, pi>ten ohne weiteres das ihnen vorgehaltene Futter aus der Hand und benahmen ſih ſo geſchi>t und ſelbſtändig, daß ih ſie unbedingt für entſchiedene Neſtflüchter halten muß. Troß ihrer di>en Beine laufen ſie ſehr gut und wiſſen ſih in dem dichten Riede oder Binſicht vortrefflih zu verbergen. Die Alten verraten ſich niht, beſchäftigen ſih nur, wenn ſie ſih ganz unbeachtet glauben, mit ihnen und führen ſie, falls ſie Gefahr befürchten, oft weit weg, beiſpiel8weiſe auf Felder hinaus, um ſie hier im Getreide zu verſte>en. Aber ſie behalten ſie fortwährend im Auge und ſehen auh dann noh nach ihnen, wenn ſie gefangen und in einem der Brutſtelle niht ſehr entlegenen Gehöfte untergebraht wurden. Unangenehm werden die niedlichen Tiere durh das ununterbrochen wiederholte Ausſtoßen der einzelnen Silbe „piep“; dieſe Untugend legen ſie auch erſt ab, wenn ſie vollklommen erwachſen ſind. Wer aber in dem Kraniche nicht bloß einen unterhaltenden Hofvogel, ſondern einen wahren Freund, ih möchte ſagen, einen gefiederten Menſchen erziehen will, muß wohl oder übel jene Unannehmlichkeiten ertragen; denn nur derjenige Vogel, welcher von Jugend auf in der Geſellſchaft des Menſchen lebte, bekundet ſpäter die Bildungsfähigkeit ſeines Geiſtes.

Alte Kraniche werden nur von einem früher vorbereiteten, den Vögeln alſo niht mehr auffallenden Verſte>e aus mit einiger Sicherheit erlegt, im übrigen bloß dur<h Zufall