Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/2

Sonnenralle: Vorkommen. Weſen, Gefangenleben. Fortpflanzung. G91

Wer ſeine Stimme nachzuahmen verſteht, lo>t ihn bis tief ins Fnnere der Wälder. Am häufigſten begegnet man ihm, nah Goudot, in der Dämmerung; denn erſt um dieſe Zeit wird er lebendig. Dieſe Angabe ſteht mit den vorher angegebenen Berichten im Widerſpruche, erſcheint mir jedo< begründet.

Caftelnau ſchildert die Sonnenralle als wild und bösartig, in Weſen und Sitten alſo den Reihern ähnli<h. Wenn man ſi ihr naht, lüftet ſie die Flügel und legt ſich zur Verteidigung aus, ſpringt auh wohl wie eine Kaße auf die Maus gegen den Feind los. Trozdem muß ſie ſi leicht fangen und zähmen laſſen, da man ſie in allen Niederlaſſungen der Fndianer und auh auf den Höfen der in ihrer Heimat angeſeſſenen Europäer gezähmt findet und als beſonderen Liebling hochachtet. Am Amazonenſtrome nennt man ſie „Pavaone“ oder Pfau und gebraucht dieſes Wort auh als Rufnamen; denn einen ſolchen erhält die gefangene, weil ſie ihrem Gebieter wie ein Hund folgen lernt. Plaza ſah in Saraycou eine, die 22 Jahre in der Gefangenſchaft gelebt hatte, und Shomburgk und Bates berihten übereinſtimmend, daß man gerade der“leihten Zähmbarkeit und Ausdauer halber dieſen Vogel ſo gern hält. Die meiſten Gefangenen laufen frei umher, miſchen ſih nah Belieben unter das Geflügel des Hofes, verkehren ohne Furcht mit den Hunden, unterſcheiden aber ſehr wohl zwiſchen fremden Tieren und ziehen ſi<h auc vor unbekannten Leuten ſcheu zurü>. Mit Vergnügen ſicht man, wie ſie in Flur und Zimmer, vox und auf dem Hauſe ihrer Kerbtierjagd obliegen. Bates verſichert, daß ſie ſich zum Spielzeuge der Kinder hergeben, wenn man ſie ruft, antworten und herbeikommen, um das ihnen durch das Nufen angezeigte Futter aus der Hand zu nehmen.

Die gefangenéèn Sonnenrallen, die ih in den Tiergärten zu London und Amſterdam ſah, maten einen durchaus eigenartigen Eindru> auf den Beſchauer. Jn mancher Hinſicht erinnern ſie allerdings an die Reihervögel, im allgemeinen aber mehr an die RNallen; doh gleichen ſie weder den einen noh den anderen. Bei ruhigem Gange tragen ſie den Leib wagere<t, den Hals zuſammengezogen und die Flügel etwas gelüftet bei \<hnellerem Laufe legen ſie das Gefieder ſo glatt an, wie es ihnen möglich iſt. Der Gang iſt ſ{hleihend und äußerſt bedächtig, der Flug weih und ſonderbar flatternd, dem eines langſamen Schmetterlinges wirklih niht unähnli<h, dem eines bei Tage aufgeſcheuchten Ziegenmelkers ebenfalls vergleichbar. Die Schwingen und das Steuer ſcheinen für die Laſt des Leibes viel zu groß zu ſein, daher die Weichheit der Bewegung. Keiner der mir bekannten Reiſenden ſpricht ſich ausführlih über den Flug aus; demungeahtet glaube ih, nah dem, was ih beobachtet habe, mit Sicherheit \<ließen ‘zu können, daß die Sonnenralle niht im ſtande iſt, in hoher Luft dahin zu fliegen, daß jeder heftige Luftzug ſie auf den Boden herabſhleudern muß.

Über die Fortpflanzung berichtet zuerſt Goudot. Das Neſt ſteht ſtets über der Erde, auf Väumen, in einer Höhe von 2 m über dem Boden; 2 Eier, die auf blaß mennigrotem Grunde mit mehr oder weniger großen Fle>en und einzelnen Punkten von dunkelbrauner Färbung gezeichnet ſind, bilden das Gelege. Die Jungen verlaſſen das Neſt im Auguſt. Zur allgemeinen Freude der Naturkundigen gaben die Gefangenen des Londoner Gartens im Jahre 1865 Gelegenheit, Genaueres feſtzuſtellen. Ein Paar dieſer Vögel wurde im September 1862 gekauft und gewöhnte ſih leiht an die veränderten Verhältniſſe. Fm Mai des erſtgenannten Jahres zeigte es Luſt zum Brüten, indem es Stöcke, Wurzeln, Gras und andere Stoffe umhertrug. Dabei ſah man beide häufig rund um das Trinkbe>en gehen, augenſcheinlih in der Abſicht, hier Neſtſtoffe zu ſuchen oder gefundene einzuweichen. Dies brate Bartlett auf den Gedanken, ihnen Lehm und Schlamm zu geben. Sie bemächtigten ſich ſofort dieſer Stoffe, erwählten einen Baumſtrunk von ungeſähr 3 m Höhe über dem Boden, auf welchem ein altes, künſtliches Strohneſt befeſtigt war, und trugen nun den mit Stroh, Wurzeln und Gras vermiſchten Lehm dahin, pflaſterten das Innere des Neſtes aus