Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

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Schmußtgeier: Verbreitung. Lebensweiſe. Weſen. 457

Noten Meeres, ſondern auch im tieferen Fnneren odev überall da, wo der Neger lebt, eine ſeltene Erſcheinung und meidet größere Waldungen, die ſein Vetter, der Kappengeier, beſucht, faſt gänzlih. Jn Weſt- und Südaſien hauſt er in Kleinaſien, Syrien, Paläſtina, Arabien, Perſien, Turkmenien, Afghaniſtan, den Himalaja"ändern, in Nord- und Mittelindien, fehlt dagegen im Süden des Erdteiles und ebenfo weiter nah Oſten hin, insbeſondere in China, durchaus.

Das ſhmußige Handwerk, das dieſer Geier betreibt, hat Vorurteile erzeugt, die ſelbſt von unſeren tüchtigſten Naturforſchern geteilt werden. „Es möchte ſ{<werli< einen Vogel geben“, ſagt Naumann, „deſſen widerliches Âeußere ſeinen Sitten und ſeiner Lebensweiſe ſo vollkommen entſpräche wie dieſen. Das kahle Geſicht des kleinen Kopfes, der vorſtehende na>te Kropf, die lo>ere Halsbefiederung, das ſtets beſ<hmußte und abgeriebene Gewand nebſt den groben Füßen ſind nicht geeignet, einen vorteilhaften Eindruck auf den Beſchauer zu machen. Dazu kommt noch, daß dem lebenden Vogel häufig eine häßliche Feuchtigkeit aus der Naſe trieft, der Geier überhaupt einen Geruch, ähnlih dem unſerer Raben, ausdünſtet, der ſo ſtark iſt, daß ihn ſelbſt der tote Balg nach Fahren und in einem faſt zerſtörten Zuſtande nicht verliert. Er iſt ein trauriger und träger Vogel.“ Jh bin feſt überzeugt, daß Naumann anders geurteilt haben würde, hätte er den Shmußgeier ſo oft wie ih lebend geſehen. Das Handwerk, das der Vogel betreibt, iſt widerlich, niht er ſelbſt. Es iſt durchaus nicht meine Abſicht, ihn zu einem ſ{hönen und anmutigen oder liebenswürdigen Vogel ſtempeln zu wollen: eine angenehme Erſcheinung aber iſt er gewiß. Mir wenigſtens hat er immer weit beſſer gefallen als die großen Arten ſeiner Unterfamilie.

Der Shmußtgeier iſt nur in Südeuropa ſcheu und vorſichtig. Jn ganz Afrika vertraut er dem Menſchen, vorausgeſeßt, daß er von der Mordſucht des Europäers noh niht zu leiden gehabt hat. Er iſt nihts weniger als ein dummer Vogel; denn er unterſcheidet ſehr genau zwiſchen dem, was ihm frommt, und dem, was ihm ſchadet, weiß ſih auch, oft unter ret ſ{wierigen Umſtänden, mit einer gewiſſen Liſt ſein tägliches Brot zu erwerben. Träge kann man ihn ebenfalls niht nennen; er iſt im Gegenteil ſehr viel in Bewegung und gebraucht ſeine Schwingen oft ſtundenlang nur des Spieles halber. Hat er ſich freilih ſatt gefreſſen, ſo ſißt auh er lange Zeit auf einer Stelle. Jm Gehen ähnelt er unſerem Kolkraben; im Fliegen erinnert er einigermaßen an unſeren Storch, aber auh wieder an den Geieradler, nur daß er weit langſamer und minder zierlih fliegt als dieſer. Er verläßt mit einem Sprunge den Boden, fördert ſi< dur< einige langſame Flügelſchläge und ſtreicht dann raf< ohne Flügelbewegung dahin. Fſſtt das Wetter ſchön, ſo erhebt er ſich mehr und mehr, zuweilen, der Shäßung nath, bis in Luftſchichten von 1000—1200 m Höhe über dem Boden. Zu ſeinen Ruheſißen wählt er ſih, wenn er es haben kann, Felſen; die Bäume meidet er ſolange wie möglich, und in großen Waldungen fehlt er gänzlich. Ebenſo häufig wie auf Felſen, ſieht man ihn auf alten Gebäuden fußen, in Nordafrika, Fndien und Arabien auf Tempeln, Moſcheen, Grabmälern und Häuſern. Mit ſeinen Verwandten teilt er Geſelligkeit. Einzeln ſieht man ihn höchſt ſelten, paarweiſe ſchon öfter, am häufigſten aber in größeren oder kleineren Geſellſhaften. Er vereinigt ſih, weil ſein Handwerk es mit ſi< bringt, mit anderen Geiern, aber doh immer nur auf kurze Zeit; ſobald die gemeinſame Tafel aufgehoben iſt, bekümmert er ſi< um ſeine Verwandten niht mehr. Fm Bewußtſein ſeiner Schwäche iſt er friedlih und verträglih, wenn auh niht ganz ſo, wie der alte Gesner ſagt, der behauptet, daß er „ganß for<tſam und verzagt“ ſei, alſo „daß er von den Rappen vnd anderen dergleichen Vögeln geſchlagen, gejagt vnd gefangen wirt, dieweil er <hwer vnd faul zu der Arbeit iſt.“ Jn Südägypten und Südnubien bemerkt man zahlreiche Flüge von ihm, die ſi ſtundenlang dur< prächtige Flugübungen vergnügen, gemeinſchaftlih ihre Schlafpläße ausſuhen und auf Nahrung ausgehen, ohne daß man