Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

458 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel.

jemals Zank und Streit unter ihnen wahrnimmt. Fn Gefellſchaft der großen Geier ſitt er entſagend zur Seite und ſchaut anſcheinend ängſtlih deren wüſtem Treiben zu.

Der Schmußtgeier iſt kein Koſtverächter. Er verzehrt, was genießbar iſt. Man nimmt gewöhnlih, aber mit Unrecht, an, daß Aas auch für ihn die Hauptſpeiſe ſei: der Shmußgeier iſt weit genügſamer. Allerdings erſcheint er auf jedem Aaſe und verſucht ſoweit ſeine ſchwachen Kräfte es erlauben, ſih zu nähren, pit die Augen heraus, öffnet am After eine Höhle und bemüht ſih, die Eingeweide herauszuzerren, oder wartet, bis die großen Geier ſi geſättigt haben, und nagt dann die Knochen ab, die ſie übrigließen: aber ein derartiger Schmaus gehört do< zu ſeinen Feſtgerihten. Größere Ströme oder die Küſte des Meeres bieten ihm {hon mehr, ſei es, daß ſie ein Aas oder wenigſtens tote Fiſche an den Strand ſhwemmen, ihm mindeſtens zu allerlei niederem Seegetier verhelfen. Endlich liefert ihm auch allerlei Kleingetier dann und wann eine Mahlzeit. NRäuberiſh überfällt er Ratten, Mäuſe, kleine Vögel, Eidechſen und andere Kriechtiere; diebiſ<h plündert er Neſter mit Eiern, und geſchi>t fängt auh er Heuſchre>en auf Wieſen und Triften. Mein Bruder beobachtete von einem gefangenen Shhmußgeier, daß er augenbli>li< auf ſeine gezähmten Vögel losging und ſie eifrig verfolgte. Eine Fettammer, die er glü>lih erlangte, tötete er mit einem einzigen Schnabelhiebe, hielt ſie feſt und verzehrie ſie auf der Stelle. Don Lorenzo Maurel erzählte Bolle, er könne nur mit Schwierigkeit Pfauen aufziehen, weil die Shmußgeier deren friſch gelegte Eier auf das ſchamloſeſte wegholten ja den Hennen zu dieſem Behufe auf Schritt und Tritt na<hſ{hli<en.

Allein weder ſeine Näubereien no< ſeine Diebereien können für ſeine Ernährung beſonders ins Gewicht fallen. Zum Glü> für ihn weiß er ſich anders zu behelfen. Jn ganz Afrika, ja in Südſpanien ſhon bildet Menſchenkot ſeine hauptſächlihſte Nahrung. Faſt die ganze Bevölkerung iſt gezwungen, zur Befriedigung ihrer Bedürfniſſe gewiſſe Pläße aufzuſuchen, die für Wiedehopf und Shmußgeier gleich ergiebig werden. Hier nun findet ſih der lebtere ein, unbekümmert um das Treiben der Menſchen, die in ſeiner baldmöglichſt beginnenden Thätigkeit zwar etwas überaus Verächtliches, in dem Vogel ſelbſt aber doch einen Wohlthäter ſehen. Daß es in Fndien nicht anders iſt, haben wir dur<h Ferdon erfahren. Jn der Nähe größerer Ortſchaften Afrikas iſt er ein regelmäßiger Gaſt bei den Schlachtpläßen, die außerhalb der Städte zu liegen pflegen. Hier ſit er dicht neben dem Schlächter und lauert auf Fleiſh und Hautfezen oder auf die Eingeweide mitſamt deren Fnhalt/ die ſein Brotgeber ihm zuwirft. Jm Notfalle klaubt er blutgetränkte Erde auf. Daß dabei zuweilen auh ein Gegenſtand mit unterläuft, der eigentli niht genießbar iſt, z. B. ein alter, mit Blut beſudelter Lappen oder etwas Ähnliches, iſt gewiß begründet. Den europäiſchen Beobachter feſſelt beſonders, wahrzunehmen, wie rihtig er den Menſchen beurteilt, wie genau er ihn kennt. Eines gewiſſen Schubes oder, richtiger geſagt, gleihgültiger Duldung gewiß, treibt er ſi<h unmittelbar vor den Hausthüren herum und geht ſeiner Nahrung mit derſelben Nuhe nah wie Hausgeflügel oder mindeſtens wie eine unſerer Krähen. Jh habe beobachtet, daß er, wenn wir im Zelte Vögel abbalgten, ſi bis zu den Zeltpflöken heranſ<hli<, uns aufmerkſam zuſah und unter unſeren Augen die Fleiſ<hſtü>e auffraß oder die Knochen benagte, die wir ihm zuwarfen. Bei meinen Wüſtenreiſen habe ih ihn wirkli liebgewonnen. Er iſt es, welcher der Karawane tagelang das Geleite gibt; er iſt nebſt den Wüſtenraben der erſte Vogel, der ſih am Lagerplate einfindet, und der leßte des Reiſezuges, der ihn verläßt. -

Über das Brutgeſchäft ſind erſt in der Neuzeit ſichere Beobachtungen angeſtellt worden. Krüper hat in Griechenland mehrere Horſte beſtiegen und gibt an, daß mehrere Paare ſelten in großer Nähe nebeneinander, wohl aber zuweilen in derſelben Gebirgswand brüten; Bolle hingegen beobachtete, daß 5—6 Horſte dicht nebeneinander in den zerflüfteten