Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Flamingo: Aufenthalt. Lebensweiſe, Gebaren. 545

beruhigte ſih das Volk niht ganz, bis die Vögel in die Luft flogen und der Mündung des Orinokos zuſtrebten.

Einzelne Flamingos ſieht man ſelten, vor Anfang der Paarungszeit wohl nie; es müßte ſich denn ein junger, unexfahrener von dem Haupttruppe der Alten verflogen haben, wie ih auh beobachten konnte. Fmmer ſind es Maſſen, die geſellſhaftlih auf einer Stelle ihrer Jagd obliegen, und innerhalb des eigentlichen Heimatgebietes ſtets Maſſen von Hunderten oder von Tauſenden. Derartige Geſellſchaften vermeiden faſt ängſtlih, Stellen zu nahen, die ihnen gefährlih werden könnten. Sie fiſchen im freien Waſſer, das ihnen nach allen Seiten hin Umſchau geſtattet, und hüten ſih namentlih vor Schilfdi>kichten. Einem Boote, das auf ſie losſteuert, entweichen ſie ſtets aus weiter Ferne; überhaupt ſ{hre>t ſie alles Fremdartige auf, und es iſt deshalb nicht gerade leiht, ihr Freileben zu beobachten. Man ſieht ſie tagtäglich, ohne über ihr Treiben vollſtändig klar werden zu können, und nur mit Hilfe eines guten Fernrohres wird es möglich, ſie zu beobachten. Gewöhnlich ſtehen ſie bis über das Ferſengelenk im Waſſer; ſeltener treten ſie auf Dünen oder auf Sandinſeln heraus, am wenigſten auf ſolche, welche irgendwie bewachſen ſind. Fm Waſſer und auf dem Lande nehmen ſie die ſonderbarſten Stellungen an. Der lange Hals wird eigentümlih verſchlungen, wie mein Bruder trefflich ſih ausdrü>t, „verknotet“ vor die Bruſt gelegt, der Kopf dann auf den Rücken gebogen und unter den Schulterfedern der Flügel verborgen. Das eine Bein trägt dabei regelmäßig die Laſt des Leibes, während das andere entweder ſchief nah hinten weggeſtre>t oder zuſammengekni>t an den Bauch angezogen wird. Fn dieſer Stellung pflegt der Flamingo zu ſchlafen; ſie iſt ihm eigentümlich. Bei einer anderen Stellung, die ſtets von dem vollen Wachſein Kunde gibt, wird der Hals nah Art der Reiher S-förmig zuſammengebogen, ſo daß der Kopf dicht über dem Na>en zu ſtehen kommt. Nur wenn der Flamingo erſchre>t oder ſonſtwie erregt wurde, erhebt er ſeinen Kopf ſo hoch, wie der lange Hals dies geſtattet, und nimmt dann auf Augenbli>e diejenige Stellung an, welche bei unſeren Ausſtopfern ganz beſonders beliebt zu ſein ſcheint. Ebenſo ſonderbar wie im Zuſtande der Ruhe, trägt er ſih, wenn ex ſi<h mit Aufnahme ſeiner Nahrung beſchäftigt. Er gründelt wie die Entenvögel, verfährt aber dabei in anderer Weiſe. Fiſhend watet er in dem Waſſer dahin und biegt ſeinen langen Hals ſo tief, daß der Kopf mit den Füßen auf dieſelbe Ebene zu ſtehen kommt, mit anderen Worten, daß der Schnabel, und zwar der Oberſchnabel, in den Schlamm eingedrü>t werden kann. Jn dieſer Weiſe unterſucht ex den Grund des Gewäſſers, bewegt ſih dabei mit kleinen Schritten vor- und rü>wärts und öffnet und ſchließt abwechſelnd ſeinen Schnabel unter entſprechender Bewegung der Zunge. Vermöge des feinen Gefühls wird alles, was in den Siebſchnabel gelangt, geprüft und das zur Ernährung Dienende von dem Unbrauchbaren ausgeſchieden oder richtiger abgeſeiht. Dur das Trippeln mit den Füßen bringt er die kleinen Waſſertiere, von welchen er ſih ernährt, in Aufruhr und Bewegung.

Der Gang ähnelt der Gehbewegung hochbeiniger Watvögel, ohne ihr jedoch zu gleichen. Jeder Storch, jeder Kranich, jeder Reiher geht anders als ein Flamingo; der Unterſchied in der Bewegung des einen und der anderen läßt ſi< aber {hwer mit Worten ausdrücen: man kann höchſtens ſagen, daß die Schritte des Flamingos langſamer, unregelmäßiger, ſchwankender ſind als die anderer Watvögel, was wohl in der Länge der Beine ſeinen hauptſächlihſten Grund haben mag. An gefangenen Flamingos ſieht man übrigens, daß ihm das Gehen ſehr leiht wird, ganz im Gegenſage zu der oft ausgeſprochenen Meinung einiger Forſcher, die ſi verleiten ließen, zu glauben, daß er ſi< beim Gehen mit dem Schnabel ſtüßen müſſe, weil ſie ſahen, daß er zuweilen auch auf dem Feſtlande ſeinen Kopf bis zum Boden niederbeugt. Allerdings benutßt er ſeinen Schnabel zur Stüge, aber nur dann, wenn er mit zuſammengekni>ten Beinen auf dem Boden ruhte und ſih dann raſ

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. YI. 35