Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

546 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; neunte Familie: Flamingos.

aufrichten will. Ft dies einmal geſchehen, fo läuft er in der oben beſchriebenen Weiſe ziemlich raſh dahin. Vor dem Auffliegen nämlich bewegt er ſih gar niht ſelten halb fliegend, halb laufend auf der Oberfläche des Waſſers dahin, zwar nicht mit der Fertigkeit, die der Sturmvogel an den Tag legt, aber doh ebenſo gewandt, wie ein Waſſerhuhn oder eine Ente das auszuführen vermag. Fm tieferen Waſſer {<hwimmt er, wie es ſcheint, ohne alle Anſtrengung. Der Flug, der dur jenes Dahinlaufen über das Waſſer eingeleitet zu werden pflegt, erſcheint leiht, nahdem der Vogel ſih einmal erhoben hat. Die ziemli<h raſchen Flügelſ<läge bringen ein ähnlihes Geräuſch hervor, wie wir es von Enten und Gänſen zu hören gewohnt ſind; einige Berichterſtatter vergleichen das Getön, das eine plößlih aufgeſheuchte Flamingogeſellſchaft verurſacht, mit fernem Donner. Auch der Ungeübteſte oder der Neuling, wenn ih ſo ſagen darf, würde den fliegenden Flamingo nie zu verkennen im ſtande ſein. Gegen anderer Langhälſe Art ſtre>t dieſer Vogel nämlich im Fliegen außer den langen Beinen auch den langen Hals gerade von ſi und erſcheint deshalb auffallend lang und ſ{<mä<htig. An dieſe Geſtalt ſind nun die ſ<hmalen Flügel genau in der Mitte eingeſeßt, und fo nimmt der fliegende Flamingo die Geſtalt eines Kreuzes an oder, weniger poetiſh ausgedrüdt, er gleiht auh einem fliegenden Beſenſtiele. Eine größere Anzahl pflegt ſi<h, wie das ziehende Kranichheer, zu längerem Fluge entweder in eine Reihe oder in einen Keil zu ordnen, deſſen Schenkel im Verlaufe des Fluges ſih fortwährend ändern, weil immer einer der Vögel nah dem anderen den Vordermann ablöſt. Aus größeren Höhen ſteigen die Flamingos in weit ausgeſhweiſten Schraubenlinien hernieder, kurz vor dem Niederlaſſen ſhweben ſie wie vor dem Auffliegen noh ein Stü> über das Waſſer dahin, bis ſie im ſtande ſind, ihre Bewegung, ſoviel wie zum ruhigen Stehenbleiben erforderlich iſt, zu verlangſamen.

Unter den Sinnen dürfte der Geſhma>k mit dem Geſichte auf gleicher Stufe ſtehen; aber die nervenreiche Zunge dient zugleih als Taſtwerkzeug, und der Taſtſinn wird dur<h die weiche Hautbekleidung des Schnabels gewiß noch ſehr unterſtützt, ſo daß wohl auh das Gefühl ſehr entwi>elt genannt werden darf. Möglicherweiſe werden die gedahten Sinnesthätigkeiten auh durch den Geruch erhöht; doch können hierüber ſelbſtverſtändlih nur Mutmaßungen herrſchen. Über die Schärfe des Gehöres läßt ſih mit Sicherheit ebenſowenig ein Urteil fällen, wohl aber ſo viel ſagen, daß es wenigſtens nicht verkümmert iſt. So erſcheint der Flamingo als ein ſinnenſcharfes Geſchöpf, und damit ſteht denn auch ſeine geiſtige Begabung im Einklange. Schon der für einen Vogel ſeiner Art große Kopf deutet auf beſondere Entwickelung des Gehirnes hin, und die Beobachtung ſtraft die Annahme höherer Geiſtesfähigkeiten niht Lügen. Ex iſt immer vorſichtig und unter Umſtänden ſehr ſcheu. Er unterſcheidet genau ein ihm gefährliches Weſen von anderen, unſchädlihen. Eine Herde läßt ein Boot niemals ſo nahe an ſih herankommen, daß mit Erfolg auf ſie geſchoſſen werden könnte; die älteſten der- Geſellſchaft halten Tag und Nacht Wache und ſind niht ſo [eicht zu überliſten. Nur die einzelnen Jungen ſind ſelten ſcheu, ihnen mangelt no< die den Alten gewordene Erfahrung. Aber der Flamingo gewöhnt ſih auc raſch an diejenigen Weſen, welche ihm früher als Feinde erſchienen, eingefangen z. B. an den Menſchen und zumal an den, der ſih viel mit ihm beſchäftigt; er gewinnt dieſen ſ<hließli< lieb. An gefangenen habe ih erfahren, daß ſie ihren Wärter genau von anderen Leuten unterſcheiden. Leichter als andere friſh gefangene Vögel laſſen ſie ſi< behandeln, in ihre Ställe treiben, von einem Orte zum anderen bringen; leiht gewöhnen ſie ſih an die Geſellſhaft fremdartiger Tiere. Hierzu trägt freilih ihr äußerſt friedliches Weſen das meiſte bei. Nur in einer Hinſicht erſcheint der Flamingo wenig begabt: ſeine Stimme iſt ein rauhes, heiſeres „Krak“/ ein gleichſam mühſelig hervorgebrachtes Gekrächze, jedes Wohllanges bar, das zeitweilig mit einem gänſeartigen, höher klingenden Geſchrei, gleichſam dem überſ<hnappenden