Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Zwölfte Ordnung. Die Nandus (Rheornithes).

Ju der Gabe des Fluges erkennen wir ein ſo bezeihnendes Merkmal des Vogels, daß uns derjenige, welchem dieſe Begabung fehlt, als fremdartiges Geſchöpf erſcheinen muß Der ungebildete Menſch erbli>t in ſolchen Vögeln Wundertiere, und ſeine Einbildungskraft iſt geſchäftig, das Wunder zu deuten. Ein alter Shhech Kordofans erzählte mir eine töſtliche Sage, die berichtet, daß der Rieſenvogel Afrikas die Befähigung zum Fluge verloren, weil er in thörihtem Hohmute ſi< vermaß, fliegend die Sonne zu erreichen. Jhre Strahlen verſengten ſeine Shwingen; er ſtürzte elendiglih zum Boden herab, kann heute noh niht fliegen und trägt heute noh des Sturzes Zeichen an ſeiner Bruſt. Älter, aber minder dihteriſh, iſt die Anſhauung, daß man in demſelben Tiere einen Blendling vom Kamele und einem märchenhaften Vogel der Wüſte zu erkennen habe. Dieſe Anſchauung klingt wider in uralten Erzählungen und hat ſich in dem wiſſenſchaftlihen Namen erhalten; ſie iſt aber auh freilih mit Unrecht in anderer Weiſe zur Geltung gebracht worden, da man in dem Strauße und den anderen Kurzflüglern die höhſtſtehenden von allen Vögeln zu erbliden geglaubt und ſie an die Spige der ganzen Klaſſe geſtellt hat.

Die drei Ordnungen der Kurzflügler, die wir, obwohl ſie nur geringe Verwandtſchaft zu einander zeigen, hier, gewohnten Anſchauungen entſprechend, gemeinſam kennzeichnen wollen, umfaſſen die größten und älteſten lebenden Vögel. Jhr Kopf erreicht höhſtens mittlere Größe, der Hals faſt ſtets bedeutende Länge, der Leib gewaltige Größe; der Shnabel iſt ziemlich furz, breit und ſtumpf; die Naſenlöcher münden nath der Spie; das Bein iſt ungemein entwi>elt, der Schenkel ſehr kräftig, di>muskelig, der Fuß. lang, aber ſtark zwei- oder dreigehig, der Flügel verkümmert und mit gänzlih veränderten, weichen, zum Fliegen untauglichen Federn beſet, die ebenſowenig Schwingen genannt werden können, wie die Schwanz-, richtiger Bürzelfedern noh Steuerfedern ſind, das Gefieder zerſchliſſen, haarartig, weil die Värte der Fahnen keinen Zuſammenhang haben und Faſerbüſcheln gleichen. Fm Gerippe iſt das Fehlen des Bruſtbeinkammes, des Gabelbeines und der Zwiſchenrippenfortſäße, die unverhältnismäßige Kürze und Kleinheit der Flügelknochen, das lange, ſchmale, bei einer Art ſogar geſchloſſene Been beahtenswert. Die Knochen des Schädels bleiben lange Zeit getrennt, die Halsrippen beweglih. Zwiſchen Schädel und Kreuzbein zählt man 24—26 Wirbel; 16—20 Wirbel verſchmelzen zum Kreuzbeine, 7—9 bilden den Schwanzteil; 5 bis 6 Rippen verbinden ſih mit dem breiten und platten Bruſtbeine. Die Schlüſſelbeine verkümmern zu Fortſäßen des zu einem Knochen verſhmolzenen Schulterblattes und Rabenbeines; der Vorderarm iſt ſtets kürzer als der Oberarm. Das Been iſt ſehr verlängert; die Beine ſind ſtets außergewöhnlih entwi>elt.

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