Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

478 Dritte Unterordnung: Schlangen; ſechſte Familie: Vipern.

Sie treten, nah L. Vaillant, in zwei merklih verſchiedenen Färbungen auf, die nicht dur Übergänge miteinander verknüpft ſind, ſich aber auh niht auf geſchlechtliche Unterſchiede zurü>führen laſſen. Viele, ja wohl die meiſten, kommen in ihrer Jugend um, da ſie von den Alten niht geſ<hüßt und ſelbſt von ſ<wachen Tieren, beiſpielweiſe Haushühnern, getötet werden; die Vermehrung der Lanzenſhlange iſt aber ſo ungeheuerlih, daß alle Verluſte reihlih gede> werden. Nach der Verſicherung Moreau de Jonnès' befinden ſi in dem Leibe trähtiger Weibchen 50—60 Eier; Bonodet hat ebenfalls 20 bis 60 Stü gefunden, je nah der Größe der Mutter, Rufz ſelbſt 86—47. Die Jungen ſind beim Auskriehen 20—25 em lang, ſehr bewegli<h und biſſig.

Jn der früheſten Jugend nährt ſih die Lanzenſhhlange von Eidechſen, ſpäter von fleinen Vögeln, zuleßt hauptſähli<h von Ratten, die, dur die europäiſhen Schiffe auf die Jnſeln eingeſchleppt, ſich in erſhre>Æender Menge vermehrt haben; ſie geht aber auh dem Hausgeflügel nah und kann, wenn ſie erwachſen iſt, Haus- und ſelbſt junge Trutz hühner oder Beutelratten verſchlingen. Durch Verminderung der Ratten mag ſie ſih verdient. machen; niemand aber wird ihr deshalb das Wort reden wollen: denn die Verluſte an Menſchenleben, die einzig und allein auf ihre Rechnung kommen, ſind doch recht bedeutend. „Daß ſie“, fährt Nufz fort, „beißt, wenn man ihr zu nahe kommt, iſt ge: wiß; daß ſie ſich aber auf den Menſchen von weitem zuſtürzt und Fliehende verfolgt, geſchieht wohl nie oder do< nur höchſt ſelten; ſonſt wären auch die Fnſeln, auf welchen ſie hauſt, für Menſchen geradezu unbewohnbar. J<h habe 1843 bei den Pfarrern und Ortsvorſtehern Erkundigungen über die Todesfälle eingezogen, die alljährlih durch die Lanzenſhlange verurſacht werden, und erfahren, daß jede Gemeinde der Inſel in der Negel jährlih 1—8 Menſchen dur<h ſie verliert. Die Anzahl der Gebiſſenen, Die mit deut Leben davonkommen, iſt freilih zehnmal größer, und da dann, im günſtigſten Falle alſo, langwierige Krankheit, oft auh Verſtümmelung der Glieder die Folge des Biſſes iſt, ſo muß man den für die Anſiedelung entſtehenden Verluſt ſehr ho< anſhlagen. Es gibt übrigens Jahre, die viel ſ{limmer ſind als die gewöhnlichen, ſo z. B. das gegenwärtige (1843), in welchem die Biſſe tödlicher find als ſonſt, ſo daß mir z. B. der OrtSvorſteher Venancourt berichtet hat, in ſeiner Gemeinde ſeien in weniger als 7 Monaten {hon 18 Leute an S<hlangenbiſſen geſtorben. Ebenſo zeigt Clerville an, daß zu Vauclin dieſes Fahr faſt jeder Gebiſſene ſtirbt. Und doch iſt die Verwüſtung, welche die Ratten gerade in dem gegenwärtigen Jahre anrichten, wirklich fürchterlich, ſo daß man leider ſieht, daß die Hilfe, die man von der Lanzenſchlange gegen die Ratten erwarten konnte, eben niht von großer Bedeutung iſt.

„Wenn das Zu>kerrohr geerntet wird, läßt man die Neger ſtets in einer Reihe arbeiten und ſtellt womöglich die Männer und Weiber abwechſelnd; die Stimme des Auf: ſehers ermahnt von Zeit zu Zeit, damit ſih jeder vor der Schlange hüte. Wird eine bemerkt, ſo flieht, unter jämmerlichem Geſchrei der Weiber, die ganze Reihe; der mutigſte Neger rüd>t hierauf wieder vor und erſchlägt das Ungetüm, das bei dem entſtandenen Lärm liegen geblieben oder nur wenig zurü>gewichen iſt.“

Beim Beißen öffnet die Lanzenſchlange den Rachen entſeblih weit, haut kräftig vor, ringelt ſih na< dem Biſſe {nell wieder zuſammen und mat ſih zu neuem Angriffe bereit. Jt ſie recht boshaſt, ſo beißt ſie zu wiederholten Malen. Rufz verſichert, mehrmals geſehen zu haben, namentlih, wenn ſie mit Hunden zu ſchaffen hatte, daß ſie das. Opfer ihrer Wut auh umſchlingt. Die Folgen des Biſſes ſind entſeßli<h: Geſchwulſt des verwundeten Teiles, der bald bläulih und brandig wird, Erbrechen, Zu>ungen, Herzweh, unbeſiegbare Schlafſuht und Tod nah wenigen Stunden oder Tagen, im günſtigſten Falle aber jahrelanges Leiden aller Art, Schwindel, Bruſtweh, Lähmung, Geſchwüre 2c.