Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

500 Zweite Ordnung: Panzerechſen; einzige Familie: Krokodile.

in der Dummheit der Tiere; wahrſcheinli<h aber wiſſen die Waſſerſhweine aus ‘langer Erfahrung, daß das Krokodil des Apures und Yrinokos auf dem Lande nicht angreift: der Gegenſtand, den es pa>en will, müßte ihm denn im Augenbli>e, wo es ſih ins Waſſer wirft, in den Weg kommen.

„Für die Anwohner des Orinokos bilden die Gefahren, denen ſie ausgeſeßt ſind, einen Gegenſtand der täglihen Unterhaltung. Sie haben die Sitten des Krokodiles beobachtet, wie der Stierfechter die Sitten des Stieres; ſie wiſſen die Bewegungen der Panzerehſe, ihre Angriffsmittel, den Grad ihrer Keckheit gleihſam voraus zu bere<hnen. Sehen ſie ſi bedroht, ſo greifen ſie mit der Geiſtesgegenwart und Entſchloſſenheit, die den Fndianern und Zambos, überhaupt den Farbigen eigen ſind, zu allen den Mitteln, die man ſie von Kindheit auf kennen gelehrt hat. Fn Ländern, wo die Natur ſo gewaltig und furchtbar erſcheint, iſt der Menſch beſtändig gegen die Gefahr gerüſtet. Ein junges indianiſches Mädchen, das ſi ſelbſt aus dem Rachen des Krofodiles befreit hatte, ſagte: „Jh wußte, daß mich der Kaiman fahren ließ, wenn ih ihm die Finger in die Augen drü>te.“ Dieſes Mädchen gehörte der dürftigen Volksklaſſe an, in welcher Gewöhnung an leibliche Not die geiſtige Kraft ſteigert. Aber wahrhaft überraſchend iſt es, wenn man in den von Erdbeben zerrütteten Ländern Frauen aus den höchſten Geſellſchaftsklaſſen in den Augenbli>en der Gefahr dieſelbe Überlegenheit und Entſchloſſenheit entwi>eln ſieht.

Da das Krokodil vermöge des Baues ſeines Kehlkopfes, des Zungenbeines und der Faltung der Zunge die Beute unter Waſſer wohl pa>en, aber niht verſchlingen kann, ſo verſhwindet ſelten ein Menſch, ohne daß man es niht ganz nahe der Stelle, wo das Unglüd geſchehen, nah ein paar Stunden zum Vorſchein kommen und ſeine Beute verſchlingen ſieht. Gleihwohl macht man ſelten Jagd auf dieſe gefährlichen Naubtiere. Sie ſind ſehr \<hlau, daher nicht leicht zu erlegen. Ein Kugelſchuß iſ nux dann tödlich, wenn er in den Rachen oder in die Achſelhöhle trifft. Die Indianer, die ſih ſelten der Feuerwaffe bedienen, greifen ſie mit Lanzen an, ſobald ſie an ſtarke, ſpiße, eiſerne, mit Fleiſch getöderte und mittels einer Kette an Baumſtämme befeſtigte Haken angebiſſen haben, gehen ihnen aber erſt dann zu Leibe, wenn ſie ſih lange abgemüht haben, um von dem Eiſen [o8zufommen. Es iſt niht wahrſcheinlich, daß man es je dahin bringt, das Land von Krokodilen zu ſäubern, da in dem Wirrſale zahlloſer Flüſſe Tag für Tag neue Schwärme vom Oſtabhange der Andes über den Meta und den Apure an die Küſten von SpaniſchGuayana herabkommen. Der Fortſchritt der Geſittung wird bloß das eine bewirken, daß die Tiere ſcheuer und leichter zu verſcheuchen ſein werden.“

Aus den erlegten Krokodilen ſcheint man in Südamerika wenig Vorteil ziehen zu können; A. v. Humboldt erwähnt nur, daß man Kaimansfett für ein vortreffliches NAbzführmittel hält und das weiße Fleiſh wenigſtens hier und da gern ißt.

Außer dem Menſchen haben die Spißtkrokodile wenige Feinde, die ihnen gefährlih werden können. Es wird mancherlei erzählt von Kämpfen zwiſchen ihnen und den großen Waſſerſchlangen; dieſe Berichte verdienen jedoh nicht den geringſten Glauben. Jm all: gemeinen bekümmern ſih auch dieſe Krokodile nux um diejenigen Tiere, welche ihnen Beute verſprechen, während die übrigen ſie vollſtändig gleichgültig laſſen. A. von Humboldt erzählt, daß er kleine, ſchneeweiße Reiher auf ihrem Rüen, ja ſogar auf ihrem Kopfe umherlaufen ſah, ohne daß ſie dieſen Beachtung ſchenkten, lehrt uns alſo ein ganz ähnliches Verhältnis kennen, wie es zwiſchen dem Nilkrokodile und ſeinem „Wächter“ beſteht. Lärmende Mitbewohner ihres Gewäſſers ſcheinen ihnen dagegen niht zu behagen: Humboldt ſah ſie untertauchen, wenn Delphine in ihre Nähe kamen. Alte Krokodile ſind, wie leiht erflärlih, gegen die Angriffe anderer Tiere hinlänglih geſüßt; den Jungen aber ſtellen verſchiedene Sumpfvögel und auch die Rabengeier mit Eifer und Geſchi> nah.