Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

546 Dritte Ordnung: Schildkröten.

Schildkröten von 40 kg Gewicht haben ein Hirn, das faum 4 g wiegt; bei ſol<hen von 1 kg Gewicht wiegt das Hirn nur 0,36 œ. Dem Hirne fehlen die großen Querſtränge; die großen Halbkugeln zeigen keine Windungen und werden vorn von dem Riechlappen überragt; das mäßig gewölbte kleine Gehirn entbehrt ebenfalls der Windungen und hat etwa die Größe eines der beiden Mittelhirnabſchnitte. Nü>enmark und Nerven ſind im Verhältnis zum Hirne ſehr di>. Das Auge hat zwei Lider und eine Ni>haut; der Bau des Augapfels erinnert in mancher Hinſicht an das Vogelauge: der Ring um die Hornhaut trägt Knochenplätt<hen; die Linſe iſt kugelrund. Eine Thränendrüſe von geradezu auffallender Größe hat E. Sardemann bei der Pattſchildkrôte nachgewieſen. Das Ohr beſteht aus dem Vorhofe und den halbzirkeligen Gängen; die Wand, die den Vorhof vom Schädel trennt, bleibt zum Teil häutig; das Knöchelchen des Hammers hat einen dünnen Stiel und ſte>t in der Knorpelmaſſe, welche die Wand der Höhle bede>t. Lettere verlängert ſi<h in einen ſ<malen Gang, der am eirunden Fenſter im Grunde der Trommelhöhle endigt. Eine die, fnorpelige Schuppe ſchließt die Trommelhöhle nah außen ab. Die Naſenlöcher ſind flein, bei einzelnen nah vorn in eine Art Röhre oder Rüſſel verlängert, die Schleimhaut im Fnneren der Naſenhöhle bildet mehrere Falten. Die Zunge iſt fleiſchig, mit weihen Warzen bede>t. Aus dem eben Angegebenen läßt ſi< ſ{<ließen, daß die Schildkröten ziemlih gut ſehen, mäßig ſcharf hören, einigermaßen fein riehen und au< wohl im ſtande ſind, zu ſ<me>en, während wir über den Sinn des Gefühls oder Empfindungsvermögens kaum wagen dürfen, ein Urteil zu fällen.

Auch die Schildkröten zählen zu den uralten Bewohnern unſerer Erde. Unzweifelhafte Überreſte von Schildkröten finden ſi bereits im Muſchelkalke und Keuper; ſolche von See- und Süßwaſſerſchildkröten häufen ſih bereits in den Lagerſtätten der Jura-, Kreide- und Tertiärzeit; Reſte e<hter Landſchildkröten endlich entde>te man zuerſt im Eocän Nordamerikas und im Miocän und Pliocän Europas.

Über die Verbreitung der heutzutage lebenden Arten der Ordnung ſind wir dur< Strauch auf das genaueſte unterrichtet worden. Genannter Forſcher beziffert im Fahre 1865 die Anzahl der bekannten und genügend feſtgeſtellten Schildkrötenarten auf 194 und nimmt 7 verſchiedene, wohlumgrenzte Wohngebiete dieſer Tiere an. Jn dem erſten oder mittelmeeriſchen Gebiete, wel<hes das ſüdliche Europa, einen Teil des weſtlichen Aſien und den ganzen Nordrand Aſiens umfaßt, [eben 6, in dem zweiten, aſrikaniſchen, zu welchem, mit Ausnahme des Nordrandes, das ganze Feſtland von Afrika und die benachbarten Jnſeln zu re<hnen ſind, 32, im dritten, aſiatiſchen, zu welhem auch die zugehörigen Fnſeln zählen, 54, im vierten, auſtraliſchen, 8, im fünften, ſüdamerikaniſchen, der auh Weſtindien und die Galapagos- oder Schildkröteninſeln in ſih begreift, 35, im ſechſten, nord- und mittelamerikaniſhen, 44, und im ſiebenten, dem Meere, 5 Arten. Jnnerhalb beider Wendekreiſe hauſen 66, in dem vom Wendekreiſe des Krebſes durhſhnittenen Verbreitungsgebiete 35, in dem vom Wendekreiſe des Steinbo>es duvchſhnittenen dagegen 26, nördlih vom Wendekreiſe des Krebſes 42, ſüdlih vom Wendefreiſe des Steinbo>es 7 Arten. Auf der öſtlichen Halbkugel ſind 98, auf der weſtlichen 78 Arten gefunden worden. Von 13 Arten fennt man das Vaterland niht. Zwei Seeſchildkröten ſind in allen Meeren der tropiſchen und der gemäßigten Zonen, mit Ausnahme des Schwarzen Meeres, gefangen worden; die übrigen Arten der Familie haben ein verhältnismäßig beſchränkteres Verbreitungsgebiet. G. A. Boulenger beziffert die Zahl der im Fahre 1888 bekannten Arten auf 201, ſo daß alſo nux wenig Wahrſcheinlichkeit ſein dürfte, dieſe Zahl fernerhin noh bedeutend zu vergrößern.

Aus vorſtehenden Angaben geht hervor, daß auh die Schildkröten den allgemeinen Verbreitungsgeſeßen der Kriecchtiere überhaupt unterliegen. Fn warmen, waſſerreihen