Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

Aufenthalt. Lebensweiſe. Fortpflanzung. Gefangenleben. 563

friehen dem vorgehaltenen Finger nah und freſſen aus der Hand. Sie gewöhnen ſi< an den Umgang mit dem Menſchen, ohne jedoch den einzelnen zu unterſcheiden.

Bei herannahendem Winter graben ſie ſich ziemlih tief in den Boden ein und verbringen hier die ungünſtige Jahreszeit in einem todähnlichen Zuſtande. Dasſelbe thun ſie in den Gleicherländern, da, wo die Dürre ihnen ihre Wohngewäſſer zeitweilig austro>net, während der regenarmen, winterlihen Jahreszeit. Müller ſagt, daß ſie an einzelnen Flüſſen Nordamerikas die Ufer förmlich unterhöhlen. „Darum ſind auh ihre Winterlager leiht zu finden; denn es ſieht aus als ob eine Herde Schweine an ſolchen Stellen gewühlt hätte.“ Jm Norden Amerikas kommen ſie bei einem nicht zu ſpät eintretenden Frühjahre einzeln ſchon im April oder doh Anfang Mai aus ihrer Winterherberge wieder zum Vorſchein und beginnen dann ihr Sommerleben, zunächſt das Fortpflanzungsgeſchäft.

Die Begattung dauert bei ihnen tagelang, und während dieſer Zeit ſind ſie für alles andere wie abgeſtorben; ihre gewöhnlihe Vorſicht und Schüchternheit verläßt ſie gänzlih. „Jh habe“, bemerkt Müller, „die Gemalte Sumpfſchildkröte (Chrysemys picta) Amerikas während der Begattung auf der Oberfläche des Waſſers {wimmend gefunden und ſie mittels eines Netzes leiht herausfiſchen können, da ſie ſi< niht im geringſten ſtören ließ.“ Sie hängen und halten das Männchen auf dem Rücken des Weibchens ſitzend und es mit den Beinen umklammernd, ſo feſt zuſammen, daß ziemlich bedeutende Kraft angewendet werden muß, um ſie auseinander zu reißen. Kurze Zeit ſpäter gräbt das Weibchen Löcher in die Erde oder in den Sand und legt in dieſe 6—8, bei anderen Arten bis zu 30 hartſchalige Eier ab.

Die nordamerikaniſhen Süßwaſſerſchild kröten halten ſehr gut in Gefangenſchaft aus, vorausgeſeßt natürlich, daß ſie vernünftig behandelt werden. Einzelne vou ihnen ſollen 40 und mehr Fahre in der Gefangenſchaft gelebt haben. Auch auf Ceylon hält man, laut Sir Emerſon Tennent, Süßwaſſerſchildkröten gern im Fnneren des Hauſes, weil man glaubt, daß ſie es von allerlei Ungeziefer reinigen, und auch ſie leben, wenn man ihnen Waſſer und etwas Fleiſch gibt jahrelang anſcheinend bei beſtem Wohlſein in der Gefangenſchaft.

Die meiſten Tierpfleger behandeln die verhältnismäßig ſehr unempfindlihen Sumpfſchildkröten gewöhnlich inſofern falſ<h, als ſie ihnen während des Winters nicht die nötige Wärme gewähren. Die, die man im Freien hält, graben ſi< ſelbſt in den Shlamm ein und bilden ſih dadurch eine ihnen zuſagende Winterherberge, während hingegen Die, die im Zimmer leben müſſen, nur in gleichmäßig erhaltener Wärme einen Erſaß für dieſe ihnen fehlende Schlaffammer finden können. „Seit mehreren Jahren“ ſchreibt Effeldt, der umfaſſende Verſuche und Beobachtungen angeſtellt hat, bekam ih nordamerikaniſche Süßwaſſerſchildkröten, aber ſie ſtarben regelmäßig im Winter. Die wenigen, die dieſe Zeit überlebten, fraßen währenddem nihts und magerten dabei ſo bedeutend ab daß ſie im Frühjahre ſicher zu Grunde gingen. Endlich kam ih auf den Einfall, ihr Waſſer auch im Winter lauwarm zu halten, weil ih beobachtet hatte, daß meine Schildkröten ſelbſt im Sommer nur dann Nahrung zu ſich nahmen, wenn das Waſſer lauwarm war. Nun ließ ih einen Ofen ſeen, auf welchem ih meine Gefangenen unterbringen fonnte und das Ergebnis hiervon war ſo günſtig, daß alle meine Sumpſſchildkröten von der kleinſten bis zur größten, nicht allein jeden Tag fraßen, ſondern ſi<h um ihr Futter riſſen, ſo daß ih die größeren Arten allein füttern mußte. Vald wurden ſie ſo zahm, daß ſie, wenn ich mich dem Gefäße näherte, die Köpfe in die Höhe ſtre>ten und ſih mit rohem Fleiſche aus der Hand füttern ließen.“ Dasſelbe Verfahren beobachten neuerdings alle achtſamen Liebhaber, die gefangene Schildkröten am Leben erhalten wollen. Wärme iſt und bleibt die hauptſähli<hſte Bedingung für glückliches Gedeihen unſerer Tiere und man kann in

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