Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

584 Dritte Ordnung: Schildkröten; fünfte Familie: Landſchildkröten.

Anfange des Dezember an bewegungslos auf derſelben Stelle und nahmen feine Nahrung mehr; keine einzige von ihnen aber verſuchte, ſih einzugraben, wie die Griechiſchen Schildkröten zu thun pflegen. Volle 2 Monate verweilten ſie in ihrer Lage, einer trägen, verdroſſenen Ruhe ſi< hingebend, ohne jedo< in Winterſchlaf zu fallen. Als es gegen Mitte Februar regnete, kamen ſie wieder zum Vorſchein, fraßen etwas Luzerne, tranken gierig erhebliche Mengen von Waſſer, kehrten jedo< wiederum zu ihrem Winterlager zurü> und verfielen in denſelben Zuſtand wie früher. Erſt Mitte April, bei Beginn der warmen Jahreszeit, erſchienen ſie regelmäßig in ihrem Gehege, jeßgt aber meiſt in den Mittagsſtunden. Behaglich gaben ſie ſi< nunmehr den belebenden Sonnenſtrahlen hin, und erſt gegen Abend ſuchten ſie den ihnen zur Gewohnheit gewordenen Schlupfwinkel auf.

Jn Schichten der jüngeren Tertiärzeit fand man im unteren Himalaya, mit urweltlihen Säugetierknochen vermiſcht, die Überreſte eines gewaltigen, den Landſchildkröten verwandten Kriechtieres, deſſen Panzer eine Länge von faſt 3 und eine Höhe von faſt 2 m zeigte (Colossochelys atlas), ebenſo in Amerika und neuerdings au< in Griechenland und Frankreih annähernd aus derſelben Zeit ſtammende Neſte verwandter Vorwelts-Schildfröten von ſehr anſehnlicher Größe. Von derartigen Rieſentieren können wir kaum eine rihtige Vorſtellung gewinnen, auh wenn wir die heutzutage noh lebenden Elefantenſchildkröten, die alle übrigen auf dem Lande lebenden Arten der Ordnung an Größe überbieten, zu Hilfe nehmen. Vor no< uicht allzu langer Zeit ſah man die leztgenannten Tiere, ungeachtet ihres verſchiedenen Wohngebietes, als Abänderungen einer Art an, die man Testudo indica nannte; neuerdings hat A. Günther, geſtüßt auf Unterſuhungen einer zahlreihen Menge von Elefantenſchildkröten, eine Reihe von Arten unterſchieden und zugleich die älteren Berichte über deren Vorkommen, Verbreitung und Nußung in überſihtliher Weiſe zuſammengeſtellt, ſo daß wir wenigſtens von der Geſchichte einer Anzahl dieſer Arten ein klareres Bild gewonnen haben.

„Faſt alle Reiſenden des 16. und 17. Jahrhunderts, die von ihren Begegniſſen und Entde>ungen im Jndiſchen und Stillen Meere Nachricht gegeben haben“, bemerkt Günther, „gedenken zahlloſer Rieſenſchildkröten, denen ſie auf gewiſſen vereinzelten oder in Gruppen verbundenen Jnſeln begegneten. Dieſe Eilande, ſämtlih zwiſchen dem Gleicher und dem Wendekreiſe des Steinbo>es gelegen, bilden zwei tierkundliche Brennpunkte. Einer von ihnen begreift die Schildkröten- oder Galapagos-Fnſeln, der andere Aldabra, Réunion, Mauritius, Rodriguez und Madagaskar in ſich. Beide ſind unter ſih ſehr verſchieden beſchaffen; beiden aber war gemeinſchaftlich, daß ſie, mit Ausnahme von Madagas8îtar, zur Zeit ihrer Entdekung weder Menſchen no< andere größere Säugetiere beherbergten. Kein einziger der betreffenden Seefahrer berichtet, die gedahten Schildkröten irgendwo anders, auf einem Eilande ebenſowenig wie auf dem indiſchen Feſtlande, gefunden zu haben. Es iſt niht glaublich, daß einer oder der andere Reiſende eine ſolhe Begegnung nicht erwähnt haben ſollte; denn alle Seeleute jener Zeit erwieſen den Nieſenſchildkröten vollſte Beachtung, weil dieſe einen wichtigen Teil ihrer Nahrung bildeten. Reiſen, die wir gegenwärtig în wenigen Wochen zurücklegen, erforderten damals Monate; alle Schiffe waren wohl ſo zahlreich wie möglih bemannt, aber nur dürftig mit Nahrungsvorräten ausgerüſtet: jene Schildkröten, von welhen man binnen wenigen Tagen mit der größten Leichtigkeit eine beliebige Anzahl einfangen konnte, mußten daher ſtets in hohem Grade willkommen ſein. Man konnte ſie im Raume oder ſonſtwo auf dem Schiffe unterbringen, monatelang auf: bewahren, ohne ſie zu füttern, und gelegentlich ſ{la<hten, und man gewann dann aus jeder einzelnen 40 —100 Ks treffliches Fleiſch: kein Wunder daher, daß einzelne Schiffe auf Mauritius oder den Galapagos Jnſeln mehr als 400 Stü einfingen und mit ſi< nahmen.