Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

606 Dritte Ordnung: Schildkröten; ſiebente Familie: Pelomedu ſen.

Die zweite Reihe der Echten Schildkröten umfaßt die ſogenannten Halswender (Pleurodira), eine ſehr merkwürdige und auffallende Schildkrötengruppe, die ſih dadur< auszeihnet, daß alle hierher gehörigen Familien den meiſt langen Hals ſamt dem Kopfe niht einfa zurü>ziehen, ſondern bei Gefahr nah der Seite biegen und ſo zwiſchen den Rü>ken- und Bauchpanzer nach hinten legen, daß die Schnauzenſpiße in Berührung mit der reten oder der linken Schulterhöhle kommt. Dieſe Eigentümlichkeit wird dadurch veranlaßt das die Halswirbel überaus ſtark entwi>elte Querfortſäße tragen. Das zweite Merkmal das die Halswender von den Halsbergern ſofort unterſcheiden läßt, liegt im Baue des Beckens, das ſtets dur< feſte Knochenverbindung ſowohl mit dem Rü>en- als mit dem Bauchpanzer verwaWhſen iſt. Auch zeigen die Finger niemals mehr als drei Glieder. Alle hierher gehörigen Arten, mit Ausnahme einer an die Seeſchildkröten erinnernden, mit Floſſen ausgeſtatteten Gattung von Flußſchildkröten Neuguineas (Carettochelys), ‘haben 13 Platten auf dem Bauchpanzer, indem zu den gewöhnlichen Hautplatten no< eine unpaare Zwiſchenkehlplatte tritt.

Dex nördlichen Halbkugel, alſo Europa, ganz Aſien und Nordamerika fehlen Vertreter dieſer Reihe, deren drei Familien ein faſt aus\{<ließli<hes Waſſerleben führen.

Die Eier mehrerer ſüdamerikaniſcher Halswender ſind für manche Völkerſchaften von erheblichem Nugen, wie überhaupt die Bedeutung dieſer Sumpf- und Flußſchildkröten für den menſchlichen Haushalt niht unterſhägt werden darf. Bates erzählt, daß er in Ega, am Amazonenſtrome, faſt. das ganze Fahr hindur<h von Schildkröten gelebt und fie ſehr ſatt bekommen habe, zuleßt ihr Fleiſch gar niht mehr riechen konnte und deshalb zuweilen genötigt war, wirklichen Hunger zu leiden. Feder Hauseigentümer befißt dort einen leinen Teich, in dem die gefangenen Tiere bis zur Zeit des Mangels, d. h. bis zum Eintritte der Regenzeit, gehalten werden, und alle die, die einige Jndianer in ihren Dienſten haben, ſenden ſie, wenn das Waſſer niedrig iſt, zur Jagd aus, um ihren Teich wieder zu beſeßen; denn ungeachtet der erſtaunlichen dort vorkommenden Menge von Schildkröten hält es ſ<wer, ſie in den naſſen Monaten für Geld zu erwerben. Die Leichtigkeit, ſie zu finden und zu fangen, ſteht nämlih genau im Verhältnis zum höheren oder tieferen Waſſerſtande. Sinkt der Strom weniger als ſonſt, ſo ſind ſie ſelten, fällt er ſehr, ſo werden ſie maſſenhaft gefangen, weil dann alle Lachen und Sümpfe in den Wäldern von ihnen wimmeln. Zu ihrer Jagd verwendet man Nebe und Pfeile, deren Spiße beim Eindringen ſi< vom Schafte trennt, mit dieſem aber durch eine lange Shnur verbunden bleibt. Der Schaft ſ{<wimmt auf dem Waſſer, wird von dem herbeirudernden Jäger aufgenommen und angezogen, bis das Tier nahe zur Oberfläche emporſteigt; dann ſchießt man dieſem unter Umſtänden noh einen zweiten Pfeil in den Leib und ſchafft es nunmehr ans Land. Die eingeborenen Frauen verſtehen Schildkrötenfleiſh auf verſchiedene Weiſe, aber vortrefflich zuzubereiten. Es iſt ſehr zart, ſhmahaft und gedeihlich, überſättigt jedoh bald und widerſteht \{ließli< jedem Europäer. Nah Verſicherung unſeres Gewährsmannes fann man nur cine Art und zwar die größte von denen, die im Amazonenſtrome vorfommen, längere Zeit in der Gefangenſchaft halten; die kleineren, weit ſhmachafteren, follen den Verluſt ihrer Freiheit in der Regel nur wenige Tage ertragen.

Zur erſten Familie der Halswender, den Pelomeduſen (Pelomedusidae), re<nen wir mit G. A. Boulenger alle beſchildeten Schildkröten, deren 13 Bruſtplatten an die Randplatten anſtoßen, denen die Naenplatte fehlt, und deren Hals in einer ſeitlihen Ebene zurü>gezogen und vollſtändig in der Schake verborgen werden kann. Jm