Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

Arvrauſchildkröte: Eierpläße. Eierernte. Ölbereitang. Zunge. S1L

mit den Händen auf, legen die geſammelten Eier in kleine, Mappiri genannte Körbe, tragen ſie ins Lager und werfen ſie in große, mit Waſſer gefüllte, hölzerne Tröge. Jn dieſen werden die Eier mit Schaufeln zerdrü>t, umgerührt und der Sonne ausgeſeßt, bis der ölige Teil, das Eigelb, das obenauf <wimmt, di> geworden iſt. Das Öl wird abgeſchöpft und über ſtarkem Feuer gekocht, foll ſih au< um ſo beſſer halten, je ſtärker man es roht. Gut zubereitet, iſt es hell, geruhlos und kaum ein wenig gelb. Die Miſſionare ſchäßen es dem beſten Baumöle gleich. Man braucht es nicht allein zum Brennen, ſondern auch, und zwar vorzugsweiſe, zum Kochen, da es den Speiſen keinerlei unangenehmen Geſchma> gibt. Doch hält es [hwexr, ganz reines Schildkrötenöl zu bekommen; das meiſte hat einen fauligen Geruch, der davon herrührt, daß Eier darunter geraten ſind in welchen die jungen Schildkröten ſich bereits ausgebildet hatten.

„Das Ufer von Uruana gibt jährlih 1000 Krüge Öl. Der Krug gilt in Angoſtura 2— 2/2 Piaſter. Der ganze Ertrag der Uferſtre>en, auf welchen jährlich Ernte gehalten wird, läßt ſih auf 5000 Krüge veranſchlagen. Da nun 200 Eier eine Weinflaſche voll Öl geben, ſo kommen 5000 Eier auf einen Krug. Nimmt man an, jede Schildkröte lege 100—116 Eier, und ein Drittel werde während des Legens-/ namentli<h von den „närriſhen Schildkröten“ zerbrochen, ſo ergibt ſi, daß, um dieſe 5000 Krüge Öl zu füllen, 390/000 Arrauſchildkröten auf den drei Erntepläßen 33 Millionen Eier legen müſſen. Und mit dieſer Re<nung bleibt man no< weit unter der wahren Anzahl. Viele Weibchen legen nur 60—70 Eier; viele werden im Augenbli>e, wo ſie aus dem Waſſer gehen, von den Faguaren gefreſſen; die Jndianer nehmen viele Cier mit, um ſie an der Sonne zu tro>nen und zu eſſen, und zerbrechen bei der Ernte viele aus Fahrläſſigkeit. Die Menge der Eier, die bereits ausgeſhlüpft ſind, ehe der Menſch darüber kommt, iſt fo ungeheuer, daß ih beim Lagerplaßbe von Uruana das ganze Ufer des Orinokos von jungen, zollbreiten Schildkröten wimmeln und ſie mit Not den Kindern der Zndianer, die Jagd auf ſie machten, entkommen ſah. Nimmt man noch hinzu, daß nicht alle Arraus zu den drei Lagerplätzen kommen, daß viele zwiſchen der Mündung des Orinokos und dem Cinfluſſe des Apures einzeln und ein paar Wochen ſpäter legen, ſo gelangt man notwendig zu dem Schluſſe, daß ſi die Anzahl der Schildkröten, die alljährlih an den Ufern des unteren Orinokos ihre Eier legen, nahezu auf eine Million belaufe. Dies iſt ausnehmend viel für ein Tier von ſo beträchtlicher Größe, das einen halben Zentner ſ{hwer wird, und unter deſſen Geſchlecht der Menſch ſo furhtbar aufräumt; denn im allgemeinen pflanzt die Natur in der Tierwelt die größeren Arten in geringerer Anzahl fort als die kleinen.

„Die jungen Schildkröten zerbrechen die Eiſchale bei Tage; man ſieht ſie aber nur bei Nacht aus dem Boden ſ{<hlüpfen. Nach Behauptung der Jndianer ſcheuen ſie die Sonnenhize. Die Farbigen wollten uns au< zeigen, wie das Schildkröthen wenn man es in einem Sa>e weit vom Ufer trägt und ſo auf den Boden ſeßt daß es dem Fluſſe den Nüden kehrt, alsbald den kürzeſten Weg zum Fluſſe einſhlage. J< geſtehe, daß dieſer Verſuh, von welchem {hon Pater Gumilla ſpricht, nicht immer glei gut gelingt; gewöhnlih aber ſchien es mir wirklih, als ob die kleinen Tiere, auh wenn ſie ſehr weit vom Ufer, ſelbſt auf einer Jnſel ſih befanden, ſpüren konnten, woher die feuchteſte Luft wehte. Bedenkt man, wie weit ſih die Eierſchicht faſt ohne Unterbrehung am Ufer hin exſtre>t, und wie viele tauſend kleiner Schildkröten gleih nah dem Ausſchlüpfen dem Waſſer zugehen, ſo läßt ſi< nicht wohl annehmen, daß ſo viele dieſer Tiere, die an demſelben Orte ihre Neſter graben, ihre Jungen herausfinden und leßtere, wie die Krofodile thun, in die Lachen am Orinoko führen können. So viel iſt gewiß, daß dieſe Schildkröte ihre erſten Lebensjahre in den ſeichteſten Lachen zubringt und erſt, wenn ſie erwachſen iſt, in das große Flußbett geht. Wie finden die Jungen nun dieſe Lachen? Werden ſie von den weiblihen Schildkröten hingeführt, die ſih ihrer annehmen, wie ſie

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