Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

Empfindungsvermögen und Bewußtſein. 679

Protoplasmaſtreifen gar nichts mehr mit der verdauenden Maſſe zu thun haben. Sie beſißen wirkliche BewegungSsorgane, und in dieſen hat zugleich die Reizbarkeit ſo zugenommen, daß ſie den Neiz faſt mit derſelben Geſchwindigkeit fortpflanzen, als es in den mit Nerven verſehenen Tieren geſchieht. Das Zuſammenzu>en eines vielverzweigten Vorticellenbäumchens geſchieht vor unſeren Augen blißſchnell. Und doh mußte der Reiz, der etwa durch einen Stoß auf ein Tier der Kolonie ausgeübt wurde, dur<h den Stamm hindurch in alle Zweige bis zu den auf ihren Gipfeln ſtehenden Tierchen fortgeleitet werden, ehe das Zuſammenfahren erfolgen konnte. Haben unſere Vorticellen hierbei und hiervon eine Empfindung, eine Art von Bewußtſein? Ja und nein. Sie müſſen etwas wie Empfindung ſpüren, etwas wie Bewußtſein muß ſih auf den Stoß entwi>eln. Aber noch iſ die Zuſammenſeßung des Körpers, die Teilung der Arbeit nicht ſo weit gediehen, daß die Stoßund Taſtempfindung von einem ſogenannten, niht zum voll: fommenen Bewußtſein gelangenden Muskelgefühle ſich trennen ließe. Ähnliches gilt vom Geſchma>, indem ein Teil oder ein großer Teil der bei der Nahrungsaufnahme ſtattſindenden Vorgänge ſich vielleicht einſt auf die Geſeße der hemiſchen Wahlverwandtſchaft werden zurü>führen laſſen. Aus Ra E einem ſolchen kaum vorſtell- Eine Acinete. 600mal vergrößert. baren dunkelſten Allgemeingefühl kann auh das Jnfuſionstier nicht heraustreten. Aber wir können annehmen, daß in infuſorienähnlihen Tieren dur beſondere Übung beſtimmter Stellen in der Hautſchicht die Veranlaſſung zur Bildung einfachſter Nervenapparate gegeben war. Und damit treten wir in das Bereich ſolcher Weſen, in denen, nach trivialer Anſchauung, die Seele einen Siß hat. Wir verſtehen nun wenigſtens, was es heißen ſoll: die Seele entwidelt ſih im Leben des Einzelweſens, ſo wie ſie ſich während der geſchichtlihen Entfaltung der Lebewelt überhaupt aus dem Unendlich- Kleinen nah und nach hervorbildete.

Das Lückenhafte der Kenntniſſe auf unſerem Felde findet auch darin ſeinen Ausdru>, daß wir oft einzelne Gattungen oder größere Gruppen als „Anhang“ zu ſonſt wohl um\<riebenen Klaſſen ſyſtematiſh unterbringen müſſen. Wir ſagen damit, daß die aus Entwi>elung und Anatomie zu nehmenden Gründe niht ausreichen, um eine gemeinſchaſftliche