Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

678 Urtiere. Erſte Klaſſe: Jnfuſorien; erſte Unterklaſſe: Wimperinfuſorien.

gebaut. Wenn wix von Wahl und Willen einer Ameiſe, eines Kopffüßers, einer Krabbe ſprechen, und ihre auf ein beſtimmtes Ziel gerichteten Handlungen mit denen eines Hundes/ eines Affen, ja des Menſchen vergleichen, ſo thun wix dies mit vollem Rechte deshalb/ weil alle jene wirbelloſen Tiere ein Nervenſyſtem beſizen, welches in ſeinen einzelnen Teilen den Vergleih mit dem Nerven- und Einnesapparat der Wirbeltiere und des Menſchen aushält, von dem wir daher auch ähnliche Leiſtungen erwarten. Ohne uns hier auf eine Entſcheidung über Natur und Weſen der Seele einzulaſſen, treffen wix ſicher auf keinen Widerſpruch, wenn wir das Nervenſyſtem als das Organ der Seele bezeichnen. Wo wir alſo Nerven finden, können wir auf ſeeliſche, an die Thätigkeit der Nerven gebundene Fähigkeiten ſ<ließen. Eben deshalb iſt das Tierleben in ſeinen Äußerungen ſo außerordentlich reich.

Was wird aber aus der Seele derjenigen Tiere, welche kein Nervenſyſtem beſizen? Da taucht dieſelbe Schwierigkeit auf, wie bei der ſpibfindigen Frage, von welcher Zeit an das ſih entwi>elnde junge Tier oder die menſchliche Frucht eine Seele hat, und es zeigt ſih, daß zwiſchen Lebensäußerungen im allgemeinen und Seelenerſcheinungen eine Grenze niht gezogen werden kann, und daß wir mit der eben uns befriedigenden Erklärung von Seele und Seelenwerkzeug doch nichts erreichen. Es weiſt uns aber der Vergleich mit dem Erwachen der Seele bei dem ſih ſhon bildenden Tiere und dem ungeborenen Menſchen darauf hin, daß man die Frage wohl richtiger umkehrt: wo beginnen in der organiſchen Welt die Äußerungen, welche als ſeeliſche bezeichnet werden dürfen? Man hat în neueſter Zeit die alte Annahme wieder hervorgeſucht, die kleinſten Stoffteile, die Atome, ſeien {hon beſeelt, hätten Empfindung und einen Willen. Eine befriedigende Vorſtellung von dem, was wir hier ſuchen, bekommen wir dadur<h niht. Die Löſung unſerer Aufgabe würde ſih finden, wenn wir ein Mittel hätten, die willkürlichen Bewegungen des Protoplasmas der niedrigen Organismen unſerer Protozoen von den unwillkürlihen zu unterſcheiden. Das Fließen des Protoplasmas in den Pflanzenzellen nennen wir ein unwillkürlihes, weil wir annehmen, daß es nur Ausdru> chemiſcher und phyſikaliſher Vorgänge im Fnneren der Zelle und die Antwort auf eben ſolhe äußere Reize ſei, ohne jede Spur deſſen, was wir nah unſeren Erfahrungen Empfindung, Vorſtellung, Bewußtſein nennen.

Solche Bewegungen kommen nun ohne Zweifel auh in allen Abteilungen der Protozoen vor, wofür ih auf das unten folgende Beiſpiel der Gromie hinweiſen will. Sie ſind jedo< mit ſolhen Handlungen und Thätigkeiten verbunden, z. B. mit der Nahrungsaufnahme, für welche wir nah den Erfahrungen an den höheren Tieren Empfindung und Willen vorausſeßen. Wir vergeſſen dabei nur zu leiht, daß jene Empfindungen, Luſt: und Unluſtgefühle, dadur< zuſtande kommen, daß die ſie hervorbringenden Eindrüce von außen zu einem beſonderen Organ, dem Zentrum des Nervenſyſtems, geleitet, dort gewiſſermaßen geſammelt und auf bis jezt geheimnisvolle Weiſe in Empfindung umgeſeßt werden. J<h kann annehmen, daß es dem Protoplasma der Gromie ſhme>t; i< komme aber über dieſe unbeſtimmte Annahme niht hinaus und darf keinen Einwand erheben, wenn ein Freund der Beſeelung der Pflanzen auch für dieſe die Nahrungsaufnahme zu einer mit Vergnügen verbundenen Handlung ſtempelt. Aber eine wichtige Erfahrung machen wir doh: wir ſehen, daß in dem Reiche der Protiſten, an welches ſich die JFnſuſorien unmittelbar anſchließen, die Reizbarkeit des Protoplasmas und die Fähigkeit auf verſchiedene Reize in verſchiedener Weiſe zu antworten, zunimmt. Dies wird die Veranlaſſung zur Herausbildung und Fixierung von Unterſchieden. Die Jnfuſorien zeigen uns die Scheidung der in den niedrigen Protiſtenklaſſen dem Auge no< ganz gleihförmigen Körperſubſtanz ſo weit gediehen, daß die bewegenden