Der Künstler zwischen Westen und Osten

Schillers Europäertum 95

Hebbel sagt einmal, daß die Räuber das unbewußteste Stück Schillers wären, die Braut von Messina das bewußteste. Man könnte auch sagen, daß in dieser Tragödie das Unbewußteste auf die bewußteste Weise dargestellt wird. Rudolf Steiner bezeichnet es in seinem Buche „Schiller und unser Zeitalter“ als sehr bedeutsam, daß die Handlung von zwei Träumen ausgeht. „Der Fürst von Messina“, sagt er, ‚träumt von einer Flamme, die zwei Lorbeerbäume verzehrt. Dieser Traum wird ihm von einem arabischen Sterndeuter dahin ausgelegt, daß die Tochter, die ihm geboren wird, seinen Söhnen Unheil bringen werde, und er gibt Befehl, sie zu töten. Zugleich aber hat die Fürstin geträumt von einem Kınde, dem Adler und Löwe sich friedlich anschmiegen. Auch ihr wird der Traum gedeutet: Ein christlicher Mönch verheißt ihr, daß die Tochter die beiden streitenden Brüder in Liebe zu sich vereinen werde. Da rettet sie das Kind. So ist das Dunkle, Unbestimmte in den Ausgangspunkt der Handlung hineingelegt.“ Schon der Umstand, daß in diesem Drama den Träumen und Ahnungen, der Urnatur, derartige Bedeutung zugeschrieben wird, will darauf hinweisen, daß die Handlung von den unterbewußten Trieben der Seele in Bewegung gesetzt wird. Die elementaren Kräfte der Menschheit wirken Liebe und Haß im Verhältnis der ° Eltern und der Kinder und der Geschwister untereinander. Keine vom Menschengeist geformten Gesetze hemmen diese Gewalten. Und dennoch ist es unrichtig, wenn Hebbel, der seinen zersetzenden Verstand an das