Der Künstler zwischen Westen und Osten

96 Schillers Europäertum

Stück heranbringt, behauptet: „Es bleibt nichts übrig als eine häßliche, schaudererregende Anekdote, die, weit entfernt, uns die ewigen Gesetze der sittlichen Welt zu vergegenwärtigen, uns vielmehr bange machen könnte, daß sie nicht immer wirksam sind.“ Diese Gesetze sind sehr wohl wirksam, auch in diesem Stücke, jedoch, sie werden von den handelnden Gestalten nicht erkannt. Sie steigen zwar nicht als Gedanken empor, wohl aber als unbegriffenes Schicksal. Wir tun, wenn wir dieses Stück lesen, einen Blick in die objektiv gestaltete Empfindungsseelenwelt.

Mit dem Tell, dem nächsten Stück, das Schiller verfaßt, verhält es sich ganz besonders. Der Plan stammt bekanntlich von Goethe. In den Annalen beschreibt dieser ausführlich, was ihn veranlaßt hat, seine Absicht, den Tell-Stoff zu einem Epos zu gestalten, aulzugeben und an Schiller zu überlassen.

Wir haben eine örtlich bedingte Szenerie, eine völkisch gefärbte Sprache, dergestalt, daß wir beinahe vergessen, daß Schiller durch die Schule eines sinnlichkeitsfreien Denkens gegangen ist. Es wird zwar nicht das Schweizerdeutsch gesprochen. Aber es lebt doch der Tonfall desselben darin.

Mach hurtig, Jenni, zieh die Naue ein,

der graue Talvogt kommt, dumpf brüllt der Firn. Der Mythenstein zieht seine Haube ein,

und kalt her bläst es aus dem Wetterloch,

der Sturm, ich mein’, wird da sein, eh wir’s denken.

Aber dieses Eingehen ins Räumlich-Zeitliche, ins Lokale, ins Urkantonale, diese Liebe zu Sitte, Trachi