Der Künstler zwischen Westen und Osten

98 Schillers Europäertum

Das letzte Stück, das Schiller begann und (was sehr bedeutsam ist) nicht fertig schreiben konnte, ist das russische, der Demetrius. Goethe wollte bekanntlich das Stück, das er mıt seinem Freunde immer wieder durchgesprochen hatte, nach dessen Tode vollenden. Einige glauben, daß er unter dem Hinscheiden Schillers zu sehr gelitten hätte, als daß er sich dazu erheben konnte. Andere vermuten, daß ihm Hindernisse von seinen Gegnern in den Weg gelegt wurden, die er nicht überwinden konnte. Jedenfalls haben ihn die Umstände, unter denen Schillers Tod erfolgte, bis ın das Innerste erschüttert. Das russische Freiheitsdrama, das den Feinden der Freiheit noch einen empfindlicheren Stoß als der Tell versetzen sollte, blieb unvollendet.

Auch hier ist eine Volksseele (Adel, Priestertum und Dorfgemeinde) mit prophetischem Tiefblick erfaßt und die aus dieser sich erhebende russische Individualität schicksalsgetreu gestaltet. Demetrius soll hingerichtet werden, weil er jemand, ohne Schuld, getötet hat. Da entdeckt man ein Kreuz an seinem Halse, das dem Zarensohn, den man gestorben glaubt, gehört. Demetrius bekommt dadurch Anwartschaft auf den Thron. Zum Zaren erhoben, auf der Höhe seiner Macht, vernimmt er, daß er unrechtmäßiger Erbe ist, spielt aber seine Rolle weiter und tötet den einzigen Mitwisser seines Geheimnisses.

Marfa jedoch, die Zarenmutter, die aus dem Kloster kommt, fühlt ihr Blut bei der Begegnung mit Demetrius nicht sprechen und bleibt stumm, als sie gefragt wird, ob sie ihren Sohn erkenne. Da erdolcht ihn das Volk.