Der Künstler zwischen Westen und Osten

116 Schweizerische Natur-Geistigkeit

nicht geschwisterlich verbunden sein! Könnten sie sich jemals voneinander entfernen?

Jakob war Forscher und Sammler. Wilhelm formte das Erforschte und Gesammelte. Jakob studierte unermüdlich, „wie die germanischen Völker in diesem Zustande der Kindheit, in Glaube, Sprache und Überlieferung sich verhalten“. Wilhelm wollte alles wirksam für gegenwärtige Seelen machen. Jakob war der Gelehrte. Wilhelm der Künstler. Jakob rühmt in dem großen deutschen Wörterbuch den schweizerischsten Dichter Gotthelf:

„Von jeher sind aus der Schweiz wirksame Bücher hervorgegangen, denen ein Teil ihres Reizes schwände, wenn die leisere oder stärkere Zutat aus der heimischen Sprache fehlte. Einem Schriftsteller, bei dem sie entschieden vorwaltet, Jeremias Gotthelf, kommen an Sprachgewalt und Ausdruck in der Lesewelt heute wenige gleich. In den folgenden Bänden des Wörterbuches wird man ihn öfter zugezogen finden; und es ist zu wünschen, daß seine kräftige Ausdrucksweise dadurch weitere Verbreitung erlange.“

Jakob Grimm will Jeremias Gotthel£ urbar machen für das deutsche Volk. Er möchte, daß Schweizergeist in Deutschland wirksam würde. Der Emmentaler Pfarrherr ist reine Natur. Kein Bild aus einer „Düsseldorfer‘‘ oder sonstigen Malschule wie bei Gottfried Keller, keine Gebärde aus einem Bildhaueratelier wie bei Conrad Ferdinand Meyer finden wir bei ihm. Nur Bauerngeist. Alles andere wirkt lächerlich daneben. Die Käserei in der Vehfreude stellt eine Dorfgemein-