Der Künstler zwischen Westen und Osten

123 Deutsches und schweizerisches Geistesleben

freien Denken, das zur Sittlichkeit als eigenster Schöpfertat führt.

Goethe wollte seımen Charakter benutzen, um den Mahomet zu gestalten. Auch Mahomet hatte den Drang, die Menschen zum Guten zu nötigen. Mahomet sowohl wie seine Nachfolger gelangten deshalb nicht zu einem freien Geistesleben.

Der Schweizer, der den religiösen Instinkt, der ihn als Angehörigen eines Volktumes richtig geleitet hat, verliert, läuft Gefahr, daß er zwei Abirrungen erliegt. Er kann von dem Trieb nach dem Materiellen erfaßt werden, dann findet er Nutzzwecke. Er kann von dem Trieb nach Gesetzlichkeit bestimmt werden, dann findet er religiös-dogmatische Zwecke. Hier kann ihm ein deutscher Denker Führer werden, Fichte, der das kühne Wort aussprach: ‚Ich selbst und mein notwendiger Zweck sind das Übersinnliche.“

Unsere Zeit steht nach Fichte in einem Abschnitt der Weltentwicklung, welcher ‚den bloßen sinnlichen Eigennutz zum Antriebe aller seiner lebendigen Regungen und Bewegungen habe“. Diese auf das höchste getriebene Selbstsucht kann nach der Einsicht dieses Denkers nur vernichtet werden, wenn man erkennt, daß „der einzige Selbstzweck, außer welchem es keinen andern geben kann, das geistige Leben ist“. Der Schweiz entstammt ein Mann, den Fichte verehrte, weil er das, was der deutsche Denker forderte, schon besaß: Pestalozzi. Fichte liebte in ihm das bis in die Wurzel hinein Lebendige und nannte es deutsch. Undeutsch ist für Fichte das, was tot in der Wurzel ist, wie es abgestorbene