Der Künstler zwischen Westen und Osten

156 Hamlet

gemischt, noch dreimal Mörder, um endlich selbst daran zu sterben. An seinem Schicksal erkennen wir die Identıtät von Schuld und Sirate.

Alle sterben auf demselben Fleck. Aber die Wege der Seelen führen zu ungleichen Sphären.

Wenn Holbein, der Schöpfer des Totentanzes, weiterhin die menschliche Entwicklung verfolgen würde, so käme er zu Goethe, der darüber nachsinnt, wie der Wirbelknochen zum Schädelknochen metamorphosiert wird. Er ließe sich von ihm sagen, daß der Mensch, der aufrechten Ganges über die Erde schreitet, in seinem Haupte lebendige Gestalten zu fassen vermag. Er begriffe den Dichter, der sich in Freiheit eine eigene, der irdischen Vergänglichkeit enthobene Phantasiewelt schafft. Goethe, der im Beinhaus steht und einen Schädel in der Hand hält, den er als denjenigen Schillers anspricht, ist nicht mehr Zyniker und Skeptiker wie Hamlet. Die ‚„dürre Schale‘ wird ihm des „herrlich edlen Kernes“ willen, den sie birgt, lieb. „Humanus“ ist ein Liebender. Wer dürfte mehr Verständnis dafür haben als Holbein, der Freund der Hü-

manisten?

Doch mir Adepten war die Schrift geschrieben, Die heil’gen Sinn nicht jedem offenbarte,

als ich inmitten solcher starren Menge

unschätzbar herrlich ein Gebild gewahrte,

daß in des Raumes Moderkält und Enge ich frei und wärmefühlend mich erquickte, als ob ein Lebensquell dem Tod entspränge.