Der Künstler zwischen Westen und Osten

276 Der Weg des Dichters

gegen die Geburt zu, immer wieder sich zu vergegenwärtigen und zu vervollständigen, indem er alle Geschehnisse hervorholt, ohne sie jedoch zu verfälschen (er läßt sie, wie sie sind, im Gedächtnis bestehen, denn er weiß: Einmal wird er alles gut machen) —, der entdeckt, daß die Erinnerungen, gerade weil er ihnen treu bleibt, einen märchenhaften Glanz bekommen. Er merkt, daß in die Erlebnisbilder, die stehen geblieben sind, Kräfte hereinwirken, die von jenen Lebensperioden stammen, die dem gewöhnlichen Gedächtnis nicht mehr zugänglich sind: erhöhte Unschuldskräfte, geheiligte Wachstumsgewalten, Engelsmächte. Er fühlt sein vorgeburtliches Dasein.

Ein Mensch, der in solcher Weise auf seine Kindheit zurückschaut, erinnert sich zum Beispiel an eine Überschwemmung, die in seinem dritten Jahre stattgefunden haben mag. Es machte einen gewaltigen Eindruck auf das Kind, wie damals der Großvater an seiner Seite stand und auf Hügel und Bäume wies, die aus der Wasserwüste emporragten, wie er die Blicke gen Himmel richtete und die ziehenden Wolken verfolgte, wie er auf den Donner wartete, nachdem der Blitz herabgefahren war, und wenige, aber gewichtige Worte verlauten ließ.

Tief drang dieses Bild in die Kindesseele. Wenn sich der erwachsene Mensch daran zurückerinnert, so werden „die Bildekräfte“, die es der Seele einprägten, wiederum wach. Sie sind im’ Organischen verankert. Sie haben mitgebaut am Gedächtnis. Sie wirken aus dem Kosmos herunter, der das Gehirn gestaltet. Sie sind recht eigentlich vorgeburtlichen Ursprungs.