Der Künstler zwischen Westen und Osten
Der Weg des Dichters 275
Schwere, der den Leichnam zu Grabe trägt, das triumphiert über den Tod.
Ein Mensch hat einem andern wehgetan. Indem er sich den Schmerz des Verletzten vergegenwärtigt, selbst erleidet und wegzuheben trachtet (worin das Wesen wahrer Reue besteht), erlebt er in seinem Inneren etwas, das er sonst erst im Dasein nach dem Tode erfahren würde. Er nimmt einen Seelenzustand, der jenseits des sinnlich-physischen Verhaltens ist, vorweg. Er „übt“, was Wesen der Weltgerechtigkeit ist, indem er ausgleicht. Er stellt die kosmische Harmonie wieder her. Er hat das Amt des himmlischen Richters als Erdenbürger, aus eigenem Willen, übernommen.
Solche Erlebnisse dürfen sich jedoch nicht nach allgemeinen Dogmen richten; sie sollen vielmehr auf Eigenerfahrungen beruhen. Sonst sind sie der Untergang der Poesie. Ein Poet, der Bußübungen macht, wie sie etwa Ignatius von Loyola vorschreibt, wird die Schöpferkräfte in sich ertöten. Seine Berichte werden nur dem Beichtvater gefallen.
Vermag man die Schranken zwischen Leben und Tod auf dem Wege eigener Erkenntnis zu durchbrechen, indem man der Sehnsucht folgt, sich nach der Liebe, die aus Weisheit geboren ist, zu „richten“, so gießt man prophetischen Geist in seine individuelle Dichtung. Der Krieg aller gegen alle taucht in der Zeitenferne auf. Der Jüngste Tag. Die Überwindung des Drachen durch Michael. Das neue Weltalter.
Dieses offenbart sich dem Blick nach vorne.
Wer sich aber darin übt, sein Leben nach rückwärts, 18*