Der Künstler zwischen Westen und Osten

93h Der Künstler zwischen Westen und Osten

bald erkennen, daß die Tätigkeiten, zu denen der Mensch der Gegenwart durch das Schicksal bestimmt ist, einseitig machen. Untrüglich empfindet er, welcher Teil des Organismus, sei es der Kopfmensch, sei es der Atmungs- und Blutzirkulationsmensch, sei es der Stoffwechsel-Gliedmaßenmensch, zu einer Hypertrophie oder zu einer Verkümmerung verdammt ist. Die Abirrungen des Denkens, Fühlens und Wollens wird er gerade deshalb mitleidend wahrnehmen, weil er die Harmonie des Vollmenschen in sich erlebt.

Ein Künstler, der so, mit der Ganzheit des Menschentums in seiner Seele, Europa betrachtet, schaut verschiedenartige Kräfte am Werk. Im Westen andere als im Osten. Er erkennt deutlich, daß sie einander entgegengesetzt sind. Er fühlt sich, da er selbst ein Ganzes ist, durch sie geteilt. Er empfindet einen Zwiespalt in sich und weiß: Er muß ihn überwinden, um ein guter Weltbürger zu werden.

Die westliche und die östliche Seele, die in seinem Innern sich bekämpfen, in Einklang zu bringen, ist ein Urmotiv des heutigen Künstlers. Schon Goethe hat dies mit aller Vehemenz erlebt. Er schaute nach der einen und nach der anderen Seite Europas und fühlte, daß man beiden mit ganz anderen Geisteskräften begegnen muß. Er hatte die Tendenzen, die von hüben und drüben kommen, klar erkannt. Im Westen sah er das Nahen des Maschinenzeitalters, das die Menschheit in Kürze vor ganz neue wirtschaftliche Aufgaben stellen würde. Für ihn war die Erfindung der Webmaschine eines der wichtigsten dichterischen Motive. Alle öko-