Der Künstler zwischen Westen und Osten

38 Der Künstler zwischen Westen und Osten

beigemessen als bisher. Der individuelle Wille wird nicht mehr verantwortlich gemacht. Der Gedanke wird Exkrement des Gehirnes. Ein Ignorabimus in allen geistigen Dingen wird sanktioniert.

Gleichzeitig flutet die östliche Welle heran. Die Bhagavadgita wird mit Begeisterung aufgenommen. Die Übersetzungen indischer Epen durch Friedrich Rückert und Adolf Holzmann entzücken die Dichter. Man erinnere sich, wie beglückt Hebbel durch den König Nal sich fühlte, jenes Gedicht, das ihm ‚wie eine Meerlilie vorkommt, die sich auf dem Rücken des Ozeans schaukelt“, mit welchen Worten der Rhythmus der langgestreckten Verse herrlich gekennzeichnet ist. Richard Wagner schrieb an eine Freundin: „Wollen Sie meine Religion kennen lernen, so lesen Sie Usinar.“ Es kam die Zeit der Textausgaben iranischer, assyrischer und persischer Herkunft. Der Buddhismus drang durch Schopenhauer ein.

Diese östlichen Geistesströmungen wurden deshalb so begierig aufgenommen, weil die Seelen durch die aufkommenden Naturwissenschaften nur im Vorstellungsartigen, aber nicht im Willenshaften befriedigt wurden. Die Sehnsucht wühlte um so dunkler, je nüchterner es im Kopfe wurde. Menschen, die mehr auf das Denken, und Menschen, die mehr auf das Wollen abstellten, konnten sich nicht mehr verstehen. Es ist ein kulturhistorisches Phänomen, daß Hegel, der Philosoph des Bewußtseins, Schopenhauer übersah, und daß Schopenhauer, der Philosoph des Mitleids, Hegel haßte.