Der Künstler zwischen Westen und Osten

Über apollinische u. dionysische Weltanschauung 55

wollte, die Freiheit historischer Betrachtungsweise zu wahren vermochten. Er war nur Philologe, nur Archäologe. Aber gerade die Beschränkung auf sein Gebiet, die Altertümer, vorzüglich die griechischen, ermöglichte ihm eine ungewöhnliche Konzentration. Er gab sich dieser mit dem ganzen Menschen hin. Das Vergangene ging ihm dadurch als Lebendiges auf. Er blickte, mit derart geschärftem Auge, in das Wachsen und Welken der Kulturen. Er wurde einer der ersten Kulturmorphologen. Während seine Zeitgenossen immer mehr das Werden und Vergehen gemäß ihren rein intellektuellen Prämissen zu begreifen suchten, hielt er sich strenge an die überlieferten Dokumente und ließ diese reden. Er liebte das griechische Wort und das griechische Bildwerk. Er lauschte auf die Verse Pindars und Homers, bis er den Pulsschlag und Atemzug der Alten wieder verspürte. Er drehte die Statuette, die er ın der Grabstätte fand, bis sie leibte und lebte, so wie sie einst der Künstler schöpferisch empfunden. Dadurch wurde ihm das gemeinhin bekannte Griechentum zu einer ganz neuen Welt. Einsichten gingen ihm auf, von denen bisher niemand etwas geahnt hatte. Er wurde in die Epochen zurückgeführt, die hinter Sophokles und hinter Äschylos lagen, zu einer Kultur, die in diesen Dichtern nur einen blassen Abglanz hinterlassen, zu einer anderen Lebensweise, zu einer anderen Daseinsform, zu einem anderen Bewußtsein. Er entdeckte, kurz gesagt, ein vorgeschichtliches Zeitalter und nannte es das gynaikokralische.

In den historischer Forschung zugänglichen Epochen