Der Künstler zwischen Westen und Osten

dionysische Welianschauung 71

verleumden, im Grunde ein Verlangen ins Nichts, ans Ende, ms Ausruhn, hin zum ‚Sabbat der Sabbate‘ dies alles dünkte mich, ebenso wie der unbedingte Wille des Christentums, nur moralische Werte gelten zu lassen, immer wie die gefährlichste und unheimlichste Form aller möglichen Formen eines ‚Willens zum Untergang‘, zum mindesten ein Zeichen tiefster Erkrankung, Müdigkeit, Mißmutigkeit, Erschöpfung, Verarımung an Leben ...“

Solche Worte schreibt er fünfzehn Jahre nach dem Erscheinen der Geburt der Tragödie in seinem „Versuch einer Selbstkritik“. Nietzsches eigentlicher Trieb war, der Erde treu zu sein, sie nicht zu fliehen und fahren zu lassen, sondern das Leben auf ıhr zur höchsten Blüte zu entwickeln.

Im damaligen Christentum, das ja bis heute fast durchweg dasselbe geblieben ist, sah er das Apollinische dekadent geworden. Er mußte, wenn er ehrlich gegen sich selbst bleiben wollte, die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Es war nur folgerichtig, daß er diese „grundsätzliche Gegenlehre und Gegenwertung des Lebens“ antichristlich nannte. „Als Philologe und Mensch der Worte,‘ schreibt er, ‚taufte ich sie, nicht ohne einige Freiheit — denn wer wüßte den rechten Namen des Antichrist? — auf den Namen eines griechischen Gottes: Ich hieß sie die dionysische.‘

Bachofen, der ebenfalls „Philologe und Mensch der Worte‘ war, sah, gerade wie Nietzsche in Dionysos eine „Doppelnatur eines großen verwilderten Dämons und eines sanftmütigen Herrschers“, der teilhaftig ist des