Der Künstler zwischen Westen und Osten

dionysische Welianschauung 73

hätten. Aus dem Lächeln dieses Dionysos sind die olympischen Götter, aus seinen Tränen die Menschen entstanden. In jener Existenz als zerstückelter Gott hat Dionysos die Doppelnatur eines grausam verwilderten Dämons und eines milden sanftmütigen Herrschers. Die Hoffnung der Epopten ging aber auf eine Wiedergeburt des Dionysos, die wir jetzt als das Ende der Individuation ahnungsvoll zu begreifen haben: diesem kommenden dritten Dionysos erscholl der brausende Jubelgesang der Epopten. Und nur in dieser Hoffnung gibt es einen Strahl von Freude auf dem Antlitze der zerrissenen, in Individuen zertrümmerten Welt: wie es der Mythos durch die in ewige Trauer versenkte Demeter verbildlicht, welche zum ersten Male wieder sich freut, als man ihr sagt, sie könne den Dionysos noch einmal gebären. In den angeführten Anschauungen haben wir bereits alle Bestandteile einer tiefsinnigen und pessimistischen Weltbetrachtung und zugleich damit die Mysterienlehre der Tragödie zusammen: die Grunderkenntnis von der Einheit alles Vorkandenen, die Betrachtung der Individuation als des Urgundes des Übels, die Kunst als die freudige Hoffnung, daß der Bann der Individuation zu zerbrechen sei, als die Ahnung einer wieder hergestellten Einheit.“

Es handelt sich für Nietzsche (und mit ihm für jeden Menschen) darum: Soll er die Ichheit aufgeben oder bewahren. Im Jahre 1871, als die Geburt der Tragödie erschien, sah er in der Kunst das einzige Mittel, „um die belebte Welt der Individuation im Leben festzuhalten“. Der