Die Französische Revolution
Ludwig XVI. bis 1787. 19
Pflichten gegen den Staat die Rechte proportional ſein müſſen. Es waren ſchwierige Zeiten, denen das Königtum entgegenging, aber im Bunde mit dem Bürgertum wäre ihm die Wiedergewinnung, ja ſogar die Erhöhung der alten Macht möglich geweſen.
Viel hing dabei vom Könige ſelber ab. Nur wenigen Fürſten iſt im Laufe der Geſchichte von allen Parteien ein im ganzen ungünſtiges Urteil zuteil geworden wie gerade Ludwig XVT.: ſtreng wurde er gerichtet von denen, welchen er in ſeiner auswärtigen Politik nicht zu Willen war, etwa von Joſeph IT. oder Friedrih dem Großen "), die in ihm eine Jammergeſtalt erbliten; die Gegner ſeiner inneren Geſchäftsführung bezeichneten ihn als einen Tyrannen, und moderne Forſcher wie Aulard haben dieſes Urteil zu dem ihrigen gemacht; bei den Royaliſten wieder fand ſeine, wie es ſchien, zielloſe Schwäche heftigen Tadel.
Hat er aber wirklich keinen Leitſtern gehabt? Wie kam es, daß erſt, nachdem er beſeitigt worden war, auf dem blutgedüngten Boden Frankreichs ſih eine neue Weltmacht erhob? Um auf dieſe Fragen Auskunft geben und um Ludwigs Haltung verſtehen zu können, müſſen wir auf ſeine Jugend zurückgehen.
Er war noch niht 20 Jahre alt, als er den Thron, auf dem Ludwig TX. und Ludwig XIV. geſeſſen, beſtieg und damit Erbe wurde eines durch göttliche Einſezung und Weihe geheiligten Königtums. Der Eindruck iſt nicht zu gering anzuſchlagen, den gerade eine ſolche Würde auf die meiſten Herrſcher Frankreichs gemacht hat. Denn hier bot jede Krönung eine Erinnerung an den myſtiſchen Vorgang vom Jahre 496 und regte damit zu einer Verknüpfung der weltlichen mit der ihm beigemeſſenen geiſtlichen Macht an ?): wurden dem franzöſiſchen Könige ſogar Heilungswunder zugeſchrieben. Boſſuet hat ja eine Art Dogma des Prieſterkönigtums aufgeſtellt, das nur von Gott zur Verantwortung gezogen werden könnte: ein Saß, den wir auh in Äußerungen Ludwigs XVI. wiederfinden. Und iſ nicht auh von jenem Kirchenfürſten der König heilig genannt worden? Wenn nun ein Prinz in dieſen Ideen, in dieſem trüben Dunſtkreis höfiſcher Selbſtvergötterung ®), der faum in einer anderen europäiſchen Dynaſtie ſeinesgleichen fand ‘), auf-
1) Koſer, König Friedrich der Große (Stuttgart 1903), Bd. II, S. 520. 2) S. 1. 3) Treitſ<kes Worte. 4) Der preußiſche Geſandte v. Alvensleben in ſeinem Bericht vom 19, Oktober 1787. Madame Roland ſagte einige Jahre ſpäter dasſelbe. DX