Die Französische Revolution
22 Zweites Kapitel.
von einem Entſchluſſe zum andern, ſo daß auh auf ihn Sybels Wort paſſen könnte, welches dieſer von Friedrih Wilhelm IV. gebraucht, daß bei ihm alle ſtreitenden Anſichten Anklang gefunden hätten. Beide Fürſten widerſprachen ſich oft ſelbſt, und gibt es ein anderes Unrecht als den Widerſpruh? „Denn recht hat jeder eigene Charakter, der übereinſtimmt mit ſich ſelbſt.“
Nicht als ob es Ludwig als Regenten an Fleiß, Eifer und Sirebſamkeit gefehlt hätte, das Rechte zu tun; Ausdauer und Geduld bei Erledigung der Amtsgeſchäfte wird ihm mehrfach nachgerühmt ; daß ihm das Wohl des Volkes am Herzen gelegen hat, davon legen mehrere Anekdoten Zeugnis ab. Z. B. läßt er bei ſeinem Regierungsantritt unter die Armen 200000 Franken aus ſeiner Kaſſe hergeben, oder es erzählt uns ein Verſailler Gemälde anſchaulich und der Wahrheit gemäß, wie er im ſtrengen Winter 1788 ſih unter das entbehrende Volk begibt, um Geld uſw. zu verteilen; wenn wir noch hinzufügen, daß er einem Bauern in ſeinen jungen Jahren ſeine Hilfe angeboten hat, um den feſtgefahrenen Wagen auf einen guten Weg zu bringen, \o ſind das alles Eigenſchaften, welche von der angeborenen Güte !) ſeines Herzens Zeugnis ablegen. Jedoch iſt nicht zu verſchweigen, daß auch dunkle Züge nicht fehlten: ſein Jähzorn ?) und Eigenſinn, womit er ſeine Umgebung quälte, werden mehrfah verbürgt; ſeine Unfreundlichkeit iſt niht nur St. Prieſt ?), ſondern auch Pitt aufgefallen, als dieſer in den 70er Jahren den Hof von Verſailles beſuchte.
Dieſer Mann nun, nicht ungebildet, neben ſeinen Mängeln doch
von den beſten Grundſätzen beſeelt, im Schmucke ſeiner Sittenreinheit, wurde König. Man hat öfter geſagt, Ludwig würde in friedlichen Zeiten ſeine Stelle gut ausgefüllt haben; aber in einer Zeit, in der Voltaire gelehrt, wo jedweder Myſtizismus kein anderes Schickſal hatte, als dem beißenden Wißte der Satire zum Opfer zu fallen, wo ein aufblühender Bürgerſtand faſt eiferſüchtig auf den König als den alleinigen Beſitzer der Herrſchaft blickte, da konnte Ludwigs Auffaſſung von ſeinem
1) Siehe au< Span. Arch. 4068, 23. Sept 1775.
2) Gerade ſolche kleinere Züge ſind niht unwichtig. „Denn man hat {hon oft bemerkt, daß ſi< der Menſchen Art und wahre Charakter aus geringen Handlungen beſſer faſſen läßt“ als aus Staatsaktionen; ſo Goethe (in der Vorrede zu Benvenuto Cellini). Siehe den {on genannten Bericht Alvenslebens.
3) Lettres et instructions de Touis XVIII. an comte de St. Priest, publ. p. Barante. Paris 1845. Einleitung.