Die Physiognomie des Menschen

tierhafte Aussehen eines Menschen kann bei ihm einen ganz anderen „Sinn“ haben wie bei dem entsprechenden Tier. Porta war auf eine rein äußerliche Betrachtungsweise eingestellt, — wenn erz.B. „rauhe Kehle“ sagt, meint er die außen von rauher Haut bedeckte Kehlgegend (s. auch Anm. 9) — war also naturgemäß diesen Gefahren der vagen Änalogie in besonders hohem Maße ausgesetzt. Den Gegenpol zu diesem, vorsichtig gehandhabt, sicherlich „fruchtbarsten Gedanken der Physiognomik“ (Lessing) bildet eine heute vielfach beliebte übertriebene „Sinngebung“. Es ist unerfindlich, woran sie sich methodisch orientiert, wenn nicht eben auch an einer intuitiven Deutung der Dinge. Man muß vermeiden einerseits einen Ein-Bildungs-Kult, der mehr in die Objekte hineingeheimnißt und hineinbildet als in ihnen liegt, und andererseits einen Aus-Drucs-Kult, der mehr aus den Objekten herausdrücken und herauslesen will als in ihnen liegt. Beides wäre Vergewaltigung, keine Wissenschaft. Diese in der Geschichte der Physiognomik von Anbeginn bis heute immer wiederkehrenden Fehler haben wohl ihren letzten Grund in einer anthropomorphen Betrachtungsweise. Man darf sich nicht in die Dinge „einfühlen“, um sie in ihrer Eigengesetzlichkeit zu begreifen, dazu ist der Mensch allzusehr sinn- und wertdeterminiert, man muß sie „ahmen“, wie Theodor Lessing mit einem schönen Worte sagt. Die reichsten Erkenntnisse auf dem Gebiet, in das dieses Buch Portas gehört, sind noch nicht erschlossen. Wollen wir zu ihnen vorstoßen, wird es darauf ankommen, das in der Intuition sicher enthaltene Objektive von den anhaftenden subjektiven Komplexen scheiden zu lernen, die in der jeweiligen Konstitution des Individuums und seiner Erlebnisweise begründet sind.

In diesem Sinne gehandhabt, hat die Bearbeitung der Quellenliteratur nicht nur rein historische Werte, sondern läßt sich mit Erfolg für die

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