Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

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Leben wurde das Modewort. Auf einem von vornherein mechanischem Felde zu Hause, nämlich auf dem Boden der ding, lichen Bewußtseinswirklichkeit stellten sich sämtliche Forscher und Denker Europas auf ein Mal an, als müsse und könne aus_ gerechnet in der Wüste der Erfahrungswissenschaft die Quelle alles Lebens gesucht und gefunden werden. Was aber meinte man eigentlich mit diesem Worte: Leben? Wenn man erlauscht wie bei dem Worte Leben hinter aller Nüchternheit der Wissenschaft immer eine Fanfare ertönt, (als handele es sich um dionysischer Räusche iabelhaite Paroxysmen und Leidenschaftsentladungen), so errät man unschwer, daß (von Nietzsche bis Bergson oder Driesch) hinter demWorte Leben ein Kraitgefühl oder Machtbegrifi steht, als handele es sich um Energetisches, Dynamisches oder Vitalistisches. Aber die gestaltende, dem Träumen verwandte. Natur, welche ohne Sprünge und Gewaltsamkeit, ohne Druck und Stoß hastlos und rastlos Gestalten baut und braut, auswirkt und wieder in sich zurücknimmt, ist gewißlich nicht zu erfassen als in der Zeit sich bewegende Kraft. — Menschliche Erfahrungswissenschaft, sei das nun Physik oder Psychologie, Biologie oder Geschichte, muß als Wirklichkeitswissenschaft notgedrungen auf neue Energetik und neuen Mechanismus abzielen. Darum fordert die intellektuelle Sauberkeit, daß ihr keinerlei Metaphysik beigemengt werde. Geschieht das doch, so unterliegt man zwei ganz verschiedenartigen Einstellungen, grade als wolle man ein Rechenexempel fortsetzen auf dem Klavier.

Immer wieder nur läßt sich mahnen, daß man Dreierlei nicht untermengen möge: vitalite, realite und verite; metaphysische, bewußtseinswirkliche und ideologische Sphäre. Alle Wirklichkeit in Raum und Zeit kann immer nur sein die mechanische Wiedervereinheitlichung zweier nicht bewußtseinswirklicher, als Bewußtsein aus einander tretender Sphären, deren eine nur gelebt werden kann (durch Ahmung), deren andere nur geschaut werden kann (durch reine Vernunit), während die Wirklichkeit ist der Zusammenbau von Erlebniß und Schauung.

Nahezu närrisch aber wäre es, eine dieser drei Sphären anzusprechen als das Seiende und Absolute.

Sein ist weder Leben, noch Wahrheit, noch Wirklichkeit. Nur enger Menschenwahn sucht das Sein in einer dieser drei Sphären, welche doch alle drei jenseits des sie auseinanderspaltenden und mechanisch wieder vereinenden Bewußtseins sich zusammenschließen zum Ringe, welcher Ring als Einheit