Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

EN

Kreis innerhalb des Wandellosen.*)

So enthüllt sich denn die heute grade: zeitgemäße ‚biolo-

sische Philosophie‘ als ein Spiel mit einem Worte. Denn mit dem Worte ‚Leben‘ läßt sich machen, was immer einem. beliebt. Man kann Leben nennen alles Physische, Seelische, Logische, Metaphysische. Man kann auch Urteilen, Denken, Wollen und Werten als ‚Akte des Lebens‘ bezeichnen. Es gibt gar nichts, was man nicht als ‚Leben‘ begreifen könnte. Nun aber gibt es immer Leute, die sich an Worten ärgern und gegen sie zu Felde ziehn mit anderen Worten. Solche Streitereien nennt man an den Universitäten: Philosophie. Rufen die einen mit freudigem Halloh ihr Lieblingswort Leben, so erwidern die andern in feierlichem Ernste mit einem anderem ebenso nichts- und allessagendem Philosophenwort, dem beliebtem Worte: Wert.

Der eine verkündet heute Philosophie des Lebens; der andere.

Philosophie der Werte. Fühlt sich aber auf dieser oder auf iener Seite solch ein Ritter der vitalite oder solch ein Retter der verite in die Enge getrieben, dann hüpit er einfach schleunigst auf das mitten zwischen beiden Parteien gelegene, gemeinsame und neutrale Land. Ein Land wie ein riesiger Gottesacker voller Grabsteine oder wie der sechste Erdteil eine von

stotzigen Pinguinen bewohnte Schneewüste. Darin finden sich -

die Geister und sinken einander in die Arme. Der Lebensphilosoph beginnt etwa folgendermaßen eine Brücke zu baun: .Ich schätze über alles Deine Werte; aber nur, wenn’sie an meinem lieben Leben verwirklicht werden‘. Der Wertphilosoph herentgegen säuselt kollegial zurück: ‚Ich schätze ja gleichfalls über alles dein Leben, aber nur insofern es meine lieben Werte zu verwirklichen gewillt ist‘ Und so wäre man denn glücklich dort wieder angelangt, von wo man ausgegangen war und im “ Grunde des Herzens einzig zu Hause ist: in der Zeit, in der Geschichte, in der Wirklichkeit.**)

*) Ich gebrauche hier das Wort Bewußtsein im Sinne von ‚Bewußtsein überhaupt‘. \

**) Glaubt man dieser Spott sei zu bitter oder übertrieben, so höre man nur ein Beispiel aus tausenden. Heinrich Rickert kämpft folgendermaßen zegen die Philosophie des Lebens für eine Philosophie des Lebens. ‚Das bloße Leben halte ich für sinnlos. Erst eine Philosophie des sinnvollen Lebens scheint mir erstrebenswert und nur auf Grund einer Theorie der unlebendigen Werte wird sich dies Ziel erreichen lassen. .... Rickerts sinnloses Leben ist meine Sphäre ‚vitalite‘; das Bereich der unlebendigen

Werte ist mein Reich der ‚verite‘. Und das ‚sinnvolle Leben‘, nun das ist: -

die Senatssitzung am Montag, die Doktorprüfung am Dienstag, das Fest€ssen am Mittwoch usw.

23#

> von Leben, Wahrheit und Wirklichkeit doch eben nur ist ein

KH