Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

“der Begriffe tötete, gleich seinen Gesinnungsverwandten Galilei und Dühring das sinnliche Augenlicht verlor.*)

e) Wir kommen nur zur letzten und herbstlichsten Blüte abendländischer Wissenschaft. Sie behauptet weder praktischrealistisch zu sein noch auch eine bloß formale Logomatik. Sie nennt sich ‚Phänomenologie‘. Und folgendermaßen lauten ihre Vorschriften: j \

„Errichten wir Grabsteine des Verlebten und schreiben auf jeden Grabstein: ‚Unmittelbare Gewißheit!‘ Zerkleinern wir künstlich das abgestorbene Holz der Begriffe. Aber, indem wir die Lebenspetrefakte zerkleinern, hängen wir an die Firste unsrer Schulstube eine stolze Fahne, darauf das Wort prangt: ‚Reine Anschauung‘. Klappern wir mit unsern Totenknochen das Lied: ‚Hier wohnen die Mütter des Lebens‘! Und wenn wir aus Begrifienem und Vergriffienem wieder herausiiltern Alles, wäs Sprache hineintat seit Jahrtausenden, wie nennen wir dann dieses Erläutern der Worte? Wir nennem es: Wesenswissenschaft. Und wir verkünden der Welt in der Sprache der Schule: ‚Ein neuer Weltabschnitt der Erkenntniß ist erstanden! Wir bringen endlich durch immediate Schauung die Phänomene zu adäquater Evidenz.‘ (Jeder begabtere Gymnasiast herzlich willkommen!)“

Was Phänomenologie. oder Gegenstandstheorie, diese letzterreichte Stufe der Philosophie eigentlich sei, das läßt sich in der hier gebotenen äußersten Kürze ungefähr klarmachen, indem ich die folgende Definition von seiten eines ihrer Fohepriester hierhersetze:

Wenn ich sage ‚Edle Herzen verzeihen Spott‘, so behaupte ich nicht, daß es edle Herzen gibt. Noch auch, daß in dieser Welt Spott jemals wirklich verziehen wird. Das eine wäre eine psychologische, das andere eine historische Feststellung. Ich aber behaupte, daß es essential zum Wesen des edlen Herzens gehört. auch den Spott verzeihen zu können. Dies erfahre ich durch unmittelbare und intuitive Analyse des Begriffs. Der Schüler muß also angehalten werden durch innere Selbstschau alles herauszuholen, was in dem Begriffe edles Herz wesenszugehörig ‚schlummert.‘ +) Die Kritiker meiner ‚Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen’ verwiesen mich auf Hans Vaihingers ‚Philosophie des als Ob‘, die mir bis dahin nicht vertraut war. — Es ist mir unverständlich geblieben, wie eine solche Einreihung meines Weltbildes möglich ist. Abgesehen davon, daß in Vaihingers umfangreichem Werk von sämtlichen Wissenschaften einzig die Geschichte übergangen und kaum je erwähnt wird, finde ich alle Gesichtspunkte den meinigen grad entgegengesetzt. Wann hätte ich die Absolutheit der Logik angezweifelt? Wann den Relativismus vertreten? Wann die empirische Wissenschaft mit Metaphysik untermengt? Wann Lebendiges verwechselt mit Wirklichem? Wann das Seiende gesucht in der Sphäre des Lebens, der Wirklichkeit oder der Wahrheit?