Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

Ja in der Tat! Jedes ‚Phänomen‘ ist gestaltgewordenes Bild (ee). Um hinzugelangen zum eingebornem Bilde muß ich ab‘ sehn von der Bestirmmtheit und der einmaligen Unwiederholbarkeit des lebendigen Augenblicks. Schlage ich aber den Augenblick tot, dann halte ich in der Hand den Schmetterlingsstaub des Lebens: die Begrifie!

Nirgendwo erfahren wir das Wesen der Erscheinung als dort, wo wir leben, ahmend jenseit der Subjekt-ObjektWelt: in der Gestaltenwandelschau (brahma-vidya). Was ‚vermag demgegenüber alle scholastische Begriffskunst? Sie sieht, schmeckt, riecht, fühlt nichts. Sie definirt. Sie setzt Grabsteine. Kaum ahnt sie, wie blindgeboren wir sind. Wie sehr wir eingekerkert sind in die endliche Anzahl uns vorbestimmender Verknüpfungsiormen. Nur Dichter können das fühlen. Mit den Schöpfkellen der Begriffe greifen wir nie mehr Lebensflut als sie eben fassen können. Und das ist so herzlich wenig, daß wir Denker gleich sind Kindern, welche mit ihren Händen den Ozean auslöffeln möchten. Begriffe zu deuten, Worte zu klären, das ist die Aufgabe der Denktechnik. Philosophie ist es nicht. Es sei denn, man faßte den Entschluß, die Musik abzuschaffen, da es ja doch Klangwerkerzeuger gäbe...

Wir haben zurückgelegt den Passionsweg der Philosophie. Den fünfstufigen Weg der Erschwerung, Entnatürlichung und Entanschaulichung. Nun stehen, wir an ihrem Grabe. Hören wir ein paar Worte aus der Grabrede, welche einer der Nachlaßverwalter, Edmund Husserl, der Entschlafenen hält:

‚Die Philosophie ist verstorben. An ihre Stelle trat die Phänomenologie. Das ist die exakte Analyse der Bedeutungen. Was man aber im Volke noch Philosophie nennt, die Reflexion geistreicher Nichtfachleute und feinsinniger Nichtwissenschaitler, das muß künftig überlassen bleiben dem Feuilleton und der allgemeinen Literatur. Verbannt bleibe es von den heiligen Stätten der strengen Wissenschaft. Dort müssen wir Philosophen ganz unter uns sein. “Denn echte, strenge und wissenschaftliche Philosophie hat nicht das mindeste zu tun mit allgemeiner Bildung, Kultur und Schöngeisterei.‘

Das also wäre das Ergebniß langer europäischer Geistesgeschichte. Willst du die enge Selbstbescheidung der echten Philosophen bewundern? willst du belächen ihren geschwollenen Dünkel?

„Packe Dich!“ sagt der Philosoph zu der nackten verführerischen Schönen. „Geh auf die Gasse, geh zu den Literaten. Bei mir verfangen deine Reize nicht. Ich bin der brave Ehemann der gestrengen Wissenschaft.“ — Die nackte Schön-