Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

So war es nicht immer. Erst im Laufe vieler Jahrhunderte

ist die Kunst im Abendland zur gegenständlichen Kunst geworden. Das Einordnen einer Wirklichkeit in den Raum, welcher durchaus nicht gesehen, sondern durch die Verquickung von Gesichts- und Bewegungsempfindungen gedacht wird, mithin also das ‚perspektivische Sehen‘ (welches selbst noch auf Tafelbildern Dürers erst halb entwickelt ist) wurde gelernt, langsam und mühsam. Die räumliche Gliederung, Ebenmaß und Gegenordnung, ist durchaus logischer Natur. Sie entspricht der zahlenmäßigen Taktierung und Harmonisirung der Musik, in welcher nur das Rhytmische unmittelbar gelebt wird. Zahl und Maß ist gleichsam das Netz, in welches der wache Geist alle seelischen Erlebnisse einfängt, wodurch sie übersichtlich, begreiibar und sinnlich faßbar werden.

. Was das noch naive Auge unbekümmert auftaßt, das ist eine augenblickliche Vision von Licht, Farbe und Gestalt, welche Augenblicksvision den ‚Gegenstand‘ noch nicht einordnet in Raum und Zeit, sondern lediglich ihn erfaßt als in die Verkörperung eingetretenes Bild. Erst dann, wenn wir die Beute vieler Augenblicke vergleichen und) deuten lernen, erwächst uns aus traumhaften Einzelgesichten allmählich die Welt der Gegenstände, die wir nın aus dem flächenhaften Gesichtsraum einordnen lernen in den vierdimensionalen Raum der Erfahrung.

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Alles was in den Künsten von heute an Jugend, Kraft. Schönheitswille und Lebensireudigkeit lebendig ist, scheint mir mein Bundesgenosse zu sein in dem Kampfe gegen Sachlichkeit. Vernüchterung und Verzwecklichung des Lebens, welchem dieses Buch dienen möchte. (Wobei mir aber auch das Recht der Gegenseite genau bewußt ist, und wie ich hoffe nie zu kurz kommt.)

Gehen wir wieder aus von dem Inbegriff, den wir „Asien“ benennen.

Die alten Künste des Ostens leben in Gegenwart und Augenblick! — Der Künstler scheut sich nie, das Gesehene so wieder zu geben, wie es seinem Erleben unmittelbar sich bot, z. B. einen an sich geringfügigen Gegenstand riesengroß und übermächtig zu zeichnen, wofiern der für ihn eine höhere Wichtigkeit hat; — oder in ein und dem selben Kunstwerk mehrere verschiedene Augenblicksansichten neben